Es ist noch früh am Morgen, eine Handvoll Männer stehen an der Hansemannstraße im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Sie haben die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Es ist kalt, in der Nacht hat es geregnet. Ab und zu fahren Kleintransporter im Schritttempo vorbei, die Regeln sind einfach: Wer einmal hupt, braucht einen Arbeiter, zweimal Hupen bedeutet zwei Personen. Dann scharen sich die jungen Männer um den Wagen, am offenen Autofenster wird verhandelt. Wer den billigsten Preis macht, darf einsteigen.
Die Hansemannstraße ist in Köln bekannt als so genannter "Arbeiterstrich" – Baufirmen und Handwerker suchen sich hier billige Arbeiter: Männer die für weniger als 50 Euro am Tag den Garten umgraben, Terrassen fliesen, Wände streichen oder Häuser abreißen. Sie arbeiten in der Fleischindustrie oder im Sommer auf den Spargelfeldern. Da, wo kein Deutscher arbeiten will.
Schlechte Startbedingungen
Die Männer an der Hansemannstraße stammen fast ausschließlich aus Bulgarien, sagt Lale Konuk, Projektkoordinatorin für Armutszuwanderer aus Bulgarien und Rumänien in Köln-Ehrenfeld. "Das sind Menschen, die aus bitterer Armut hierher kommen, die in ihrer Heimat keine Arbeit finden und irgendwie ihre Familien ernähren müssen", erklärt sie. Armutszuwanderer hätten die schlechtesten Startbedingungen, die man sich nur vorstellen kann. Einige von ihnen könnten weder lesen noch schreiben, von Deutschkenntnissen ganz zu schweigen. Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt hätten sie so gut wie nie, meint Konuk.
Bei Anwohnern und Ladenbesitzern sorgt das für Unmut, regelmäßig gehen bei Bezirksbürgermeister Josef Wirges (SPD) Beschwerden ein: Darüber, dass die Männer sich auch abends an der Hansemannstraße treffen, Bier trinken, Lärm machen. "Zum Teil schlafen die in Erdlöchern oder auf Spielplätzen und verunreinigen die dann", sagt er. Geld für eine reguläre Wohnung fehlt, oftmals übernachten die Männer im Auto oder teilen sich mit fünfzehn Personen eine kleine Wohnung. Auch das hat Wirges schon beobachtet.
"Das ist Ausbeutung!"
Doch der Bezirksmeister kann nicht viel tun. Zum einen, weil im Zuge der europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit Rumänen und Bulgaren seit 2014 in Deutschland offiziell arbeiten dürfen. Und zum anderen, weil es die Aufgabe des Zolls ist, die Einhaltung des Mindestlohnes zu kontrollieren und die Schwarzarbeit einzudämmen. Aber der Aufwand für den Zoll sei zu groß, sagt Wirges und von ein paar Razzien im Jahr lasse sich niemand abschrecken. Seine Kritik richtet sich aber vor allem an diejenigen, die die Arbeiter zu Dumpinglöhnen und ohne rechtliche Absicherung anheuern: "Die nutzen ja diese Situation aus, das ist Ausbeutung!“, empört er sich.
Kein Vertrag. Kein Arbeitsschutz. Kein Recht auf Urlaub. Löhne deutlich unter dem Mindestlohn: Das Problem kennt auch Tim Westerholt, der bei der Kölner Caritas den Fachdienst Integration und Migration leitet. Er spricht von einer "Rechtelosigkeit", die verhindere, dass die Tagelöhner ihre Ansprüche geltend machen können. Er und seine Mitarbeiter bieten ihnen Beratung und Unterstützung an. Oftmals würden die Männer sogar noch um ihre mickrigen Löhne betrogen, erzählt er.
Arbeiterstriche an vielen Orten
Die Beratungsstelle der Caritas ist im Kölner Stadtteil Kalk, auch dort gibt es Tagelöhnermärkte, nur sind sie dort nicht so zentral und so offensichtlich wie in Ehrenfeld: "Auf dem Weg zur Arbeit fahre ich vorbei an einem Hinterhof, wo man dann auch den klassischen Kleinbus wegfahren sieht", erzählt Westerholt. "In der Nähe von unserer Arbeit ist auch ein Kiosk, wo sehr früh morgens "Kaffee getrunken" wird und das auch sehr regelmäßig. Also, man weiß es und die wissen auch von uns."
Die Hilfe der Caritas ist vielfältig: Papiere in Ordnung bringen und die Menschen so aus der Illegalität herausholen. Das gilt vor allem für Flüchtlinge und Nicht-EU-Bürger. Und: Weiterbildung, Deutschkurse und berufliche Qualifikation – nur so haben die Menschen irgendwann die Chance auf einen regulären Job. Aber das sei nicht so einfach, sagt Westerholt, denn ein Anrecht auf Sozialleistungen haben diese Menschen nicht.
Kein Recht auf Sozialleistungen
Erst im Herbst vergangenen Jahres beschloss die Bundesregierung, dass bedürftige EU-Bürger erst dann Sozialleistungen bekommen können, wenn sie fünf Jahre in Deutschland gearbeitet haben. "Das ist ein Teufelskreis, der nur schwer zu durchbrechen ist", sagt Westerholt. Denn wer arbeiten muss, um zu überleben, hat keine Zeit einen Deutschkurs zu besuchen oder sich beruflich zu qualifizieren.
Diese Erfahrung macht auch Lale Konuk, die zusammen mit dem Ehrenfelder Verein für Arbeit und Qualifizierung ähnliche Hilfen vermittelt. "Wir haben Deutschkurse angeboten, aber die Männer sind einfach nicht gekommen“, sagt sie. "Wir müssen diese Menschen so gut es geht qualifizieren und in den ersten Arbeitsmarkt bringen. Und wir müssen dafür sorgen, dass ihre Kinder zur Schule gehen und eine möglichst gute Bildung erhalten. Es gibt zu diesem Weg keine Alternative."
Köln ist kein Einzelfall. In vielen deutschen Großstädten und Ballungszentren gibt es Märkte für Tagelöhner. In Ehrenfeld verlagert sich der so genannte Arbeiterstrich gerade von der Hansemannstraße in andere Ecken des Viertels, aber das Problem wird bestehen bleiben, solange die Männer keine Alternative haben, sich ihr Leben zu verdienen. Und so lange es Profiteure gibt, die die Not der Menschen ausnutzen. Davon ist Lale Konuk überzeugt.