Der Oktober war der gewalttätigste Monat der vergangenen 20 Jahre in Mexiko. Insgesamt wurden 2.764 Morde begangen und damit so viele, wie noch nie zuvor. Das geht aus Zahlen hervor, die das mexikanische Innenministerium in dieser Woche bekannt gegeben hat. Seit Jahresbeginn wurden 23.968 Menschen ermordet, im Schnitt sind das 79 am Tag. Mexiko zählt damit zu einem der gefährlichsten Länder weltweit.
Die Gewalt ufert aus, seit im Jahr 2006 der damalige Präsident Felipe Calderón die Bekämpfung der organisierten Drogenkriminalität in Mexiko zum wichtigsten Ziel seiner Amtszeit erklärte. Zahlreiche Festnahmen und Tötungen mächtiger Bandenchefs entfachten Machtkämpfe innerhalb der Kartelle und um die Vorherrschaft im Drogenhandel. Seit 2006 hat der mexikanische Drogenkrieg bereits mehr als 185.000 Opfer gefordert, zehntausende Menschen gelten als vermisst.
98 Prozent Straflosigkeit
"Wir haben eine ethische und moralische Krise", klagt der Generalsekretär der mexikanischen Bischofskonferenz Alfonso Gerardo Miranda Guardiola: 90 Prozent der Mexikaner bezeichneten sich als religiös, erklärt er, trotz steigender Gewalt. Dealer, Menschenhändler, Auftragskiller und Drogenbosse – sie alle trügen ein Kreuz, beteten die Jungfrau von Guadalupe an, so der Bischof, das passe nicht zusammen. Als Gründe sieht er ein Auseinanderbrechen des sozialen Gefüges und die extreme Straflosigkeit. Die liegt in Mexiko bei 98 Prozent. "Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen wird, ist sehr gering", sagt er.
Die Aufgabe der Kirche sehen die mexikanischen Bischöfe in dieser Situation ganz klar: "Es ist unsere Pflicht, den Menschen Hoffnung zu geben", sagt José Leopoldo González González, Bischof von Nogales und Präsident Caritas Mexiko. "Inmitten dieser vielen Katastrophen, der Erdbeben, Wirbelstürme und dieser Gewalt müssen wir den Menschen beistehen." Doch er stellt auch klar: "Wir wollen nicht nur die Stimme der Hoffnung sein, wir sind auch die mahnende, die anklagende Stimme." Das hatte auch der Papst bei seinem Besuch im Frühjahr 2016 von den Bischöfen gefordert.
Priester im Fokus der Gewalt
Keine ungefährliche Aufgabe. Seit dem Jahr 2012 wurden in Mexiko nach Angaben der mexikanischen Bischofskonferenz 18 Geistliche ermordet. Allein die Zahl der Morddrohungen hat sich in diesem Jahr mit rund 800 im Vergleich zu 2016 verdoppelt. "Der Priester gilt vielen nicht mehr heilig, als Leitfigur oder als guter Hirte", sagt Padre Sergio Omar Sotelo Aguilar. Er leitet die Pressearbeit bei der mexikanischen Bischofskonferenz. In einem Interview mit der Zeitung "El País" sagte er: "Mit dem Mord an einem Priester senden sie die Botschaft aus: 'Wer einen Priester tötet, kann alle töten'". Im Juli war zuletzt ein 71-jähriger Pfarrer ermordet in seinem Haus in der Nähe von Mexiko-Stadt aufgefunden worden.
Ausbildung und Wertevermittlung als Gegenmittel
Mexikos Kirche setze im Kampf gegen die Gewalt auf Bildung und Wertevermittlung, so Bischof González von der Caritas: "Wir fördern die Ausbildung von Laien, denn sie können zu einem Wandel der Gesellschaft beitragen. Die Laien sind auch dort, wo Bischöfe oder Priester nicht sind, sie verteidigen dort die Rechte der Menschen und kümmern sich um sie."
Die Kirche hat zudem eine Beobachtungsstelle für gesellschaftliche Fragen in Mexiko (OCEM) eingerichtet, die Statistiken zur Gewaltsituation im Land erstellt. Sie beteiligt sich zudem an Einrichtungen wie "Serapaz" ("Servicios y asesoría a la paz"), die sich um Gewaltopfer kümmert oder dem Verein "Las Hormigas", wo Kinder aus schwierigen Verhältnissen einen gewaltfreien Umgang miteinander lernen. Hilfe erhält die mexikanische Kirche dabei auch aus Deutschland: Das Lateinamerikahilfswerk der deutschen Katholiken, Adveniat, hat solche Projekte bislang mit mehr als 130.000 Euro unterstützt, die Friedensarbeit zählt zu einem der Förderschwerpunkte.
Zivilgesellschaft als wichtiger Akteur
Dass die Politik die Gewalt im Land einzudämmen vermag, daran glaubt in Mexiko niemand mehr. Staatspräsident Enrique Peña Nieto war 2012 mit dem Versprechen angetreten, Frieden zu schaffen. Gelungen ist es ihm ganz offensichtlich nicht. Im kommenden Jahr wird in Mexiko ein neuer Präsident gewählt, tatsächlich jedoch scheint keine Partei eine Strategie gegen die ausufernde Gewalt zu haben, die Politik ist durchsetzt von Korruption und Klientelismus.
Bischof José González ist überzeugt: "Die Zivilgesellschaft muss den Wandel herbeiführen." Jüngst habe er bei dem schweren Erdbeben im Oktober beobachtet, wie groß die Solidarität und die Hilfsbereitschaft waren, mit der sich die Mexikaner eingebrachten. "Die Menschen wollen einen Wandel und sie sind dazu auch in der Lage", sagt er, "Mexikos Zivilgesellschaft wird stärker".
Sein Bistum Nogales liegt im Norden, an der Grenze zum US-Bundesstaat Arizona, wo die Gewaltraten im Verhältnis zur Bevölkerungszahl immer hoch waren. González' Erfahrung ist: "Da, wo wir als Kirche zusammen halten, zieht sich das Verbrechen zurück. Ich habe beobachtet, dass dort, wo Menschen ausgebildet werden, Werte erlernen und gemeinsam die Messe feiern, in den Familien und in den Stadtvierteln eine neue Gemeinschaft und Vertrauen entstehen. Und das macht es dem Verbrechen schwer."