Ein Jahr nach dem Friedensvertrag in Kolumbien

Zwischen Aufbruch und Angst

Ein Jahr nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags zwischen der Regierung und der FARC-Guerilla schwankt Kolumbien zwischen Aufbruch und Angst. Wie ist die aktuelle Lage zu bewerten und welche Entwicklungen gibt es?

"Peace"  - Friedenszeichen für Kolumbien / © Leonardo Munoz (dpa)
"Peace" - Friedenszeichen für Kolumbien / © Leonardo Munoz ( dpa )

KNA: Vor einem Jahr wurde der Friedensvertrag unterschrieben. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?

Susanne Breuer (Lateinamerika-Referentin des kirchlichen Hilfswerks Misereor): Zunächst einmal haben wir wie viele andere Hilfswerke und Menschenrechtsorganisationen das Abkommen sehr begrüßt, weil es ja das jahrelange Ziel der gemeinsamen Arbeit war. Wir sehen allerdings auch viele Risiken und Hindernisse für die Umsetzung des Friedensabkommens. Da ist vor allem die Mordserie an mehr als 120 Menschenrechtsverteidigern in diesem Jahr, dann gibt es wegen anhaltender Gewalt der neo-paramilitärischen Gruppen und zum Teil auch der ELN-Guerilla nach wie vor Vertreibungen. Die Sicherheitssituation in den ländlichen Gebieten hat sich nicht wesentlich verbessert. Im Gegenteil, die Gefahr für Akteure, die sich für eine Verbesserung der Menschenrechte einsetzen, ist noch größer geworden.

KNA: Die Berichte über Gewalt gegen Menschenrechtler kommen auch aus den Regionen, aus denen sich die FARC zurückgezogen hat. Wie stellt sich die Situation dar?

Breuer: In diesen Regionen, in denen der Staat oft über Jahrzehnte keine Präsenz gezeigt hat, hat die FARC ein Vakuum hinterlassen, in das nun andere, oft neoparamilitärische Gruppen, aber auch die linke ELN-Guerilla und ehemalige Angehörige der FARC stoßen. Hier wird auch um die Korridore des Drogenhandels gekämpft. Dieses Geschäft hat ja mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages nicht aufgehört.

KNA: Warum werden so viele Menschenrechtler ermordet, wer steckt dahinter?

Breuer: Es gibt zahlreiche gesellschaftliche Gruppen, die kein Interesse an diesem Friedensprozess haben. Dazu zählen die organisierte Kriminalität, neoparamilitärische Gruppen und Politiker vom rechten Rand der Gesellschaft, die in den betroffenen Regionen um Einfluss und Vormachtstellung fürchten. Deswegen gibt es massiven Druck auf die Zivilbevölkerung und die Akteure, die sich für eine Verbesserung der Menschenrechtslage einsetzen.

KNA: Wie kann man das Leben der Menschenrechtler besser schützen?

Breuer: Indem ihre Arbeit legitimiert wird. In der Vergangenheit war es oft so, dass, wenn Menschenrechtler ihre Forderungen einbrachten, sie gleich in die Nähe der Guerilla gerückt wurden. Medien, Regierung und Institutionen müssen die Arbeit der Menschenrechtler stärker wertschätzen. Und die Straflosigkeit muss enden: Wenn Menschenrechtler weiter nahezu ungestraft ermordet und bedroht werden können, wird sich an der Situation nichts ändern.

KNA: Welche positiven Ergebnisse hat der Friedensvertrag gebracht?

Breuer: Es gibt eine Aufbruchsstimmung, die in vielen Regionen zu spüren ist, in denen es vorher bewaffnete Auseinandersetzungen gab. Die Tatsache, dass sich tausende Guerilla-Kämpfer freiwillig entwaffnen und sich in die Zivilgesellschaft einbringen wollen, ist sicher der größte Erfolg. Auch die Aufarbeitung des bewaffneten Konflikts hat bereits in zahlreichen Regionen des Landes begonnen, die Wahrheitsfindung ist von zentraler Bedeutung.

KNA: Was ist notwendig, um den Friedensprozess mit Leben zu füllen?

Breuer: Investitionen in Bildung, das Gesundheitswesen und soziale Gerechtigkeit sind zentrale Bausteine einer erfolgreichen Umsetzung des Friedensprozesses. Hier muss der Staat einfach mehr tun. Die Zivilbevölkerung ihrerseits muss Druck ausüben, damit diese Investitionen auch kommen. Viele unsere Partnergemeinden erarbeiten bereits lokale Entwicklungspläne. Aber die kann man nur mit dem Staat umsetzen.

KNA: Was kann die FARC dazu beitragen, dass es mit dem Friedensprozess klappt?

Breuer: Die Führung der FARC muss sich öffentlich eindeutig zum Friedensprozess bekennen und ihre Mitglieder dazu aufrufen, nicht vom eingeschlagen Weg abzugehen. Die FARC trägt eine Mitverantwortung für den Friedensprozess und muss zur Wahrheitsfindung bei den eigenen schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit beitragen.

Das Interview führte Tobias Käufer.


Ein neues Friedensabkommen für Kolumbien.  / © Mauricio Duenas Castaneda (dpa)
Ein neues Friedensabkommen für Kolumbien. / © Mauricio Duenas Castaneda ( dpa )
Quelle:
KNA