Nur eine halbe Flugstunde braucht es vom kühlen Bogota in den Bergen hinunter an den Rand der weiten Ebenen der Llanos Orientales, den tropischen Garten Kolumbiens. Heute eine vibrierende, aufstrebende Regionalmetropole, war Villavicencio über Jahrzehnte ein Brennpunkt des Konflikts mit der FARC-Guerilla.
Der Papst wählt diesen Ort bewusst für seinen Aufruf, Hass und Rache zu begraben - zwischen den Konfliktparteien in dem jahrzehntelangen Guerillakrieg, den Ethnien und Traditionen des Landes, den Geschlechtern und auch zwischen Mensch und Natur. Zu Zehntausenden haben die Bürger in den Randbezirken Villavicencios auf Franziskus gewartet, vielleicht auch genau auf diese Botschaft. Es sind einfache Leute, die den Folgen jeder Art von Konflikt stärker ausgesetzt sind als die Wohlhabenden.
Messe, Seligsprechung und Versöhnungstreffen
Franziskus kommt, um seine zweite große Messe zu feiern nach dem Eröffnungsgottesdienst am Donnerstag in Bogota. Am Nachmittag steht ein Versöhnungstreffen auf dem Programm, getrennt von der Messe, um nicht andere Glaubensgemeinschaften auszuschließen oder zu vereinnahmen. Hier soll der Papst auch Lebensberichte von Gewaltopfern hören - Jugendliche, die von Guerillas rekrutiert wurden; eine Frau, deren Mann und Kinder nacheinander von Paramilitärs ermordet wurden.
Die Kirche dort unter Leitung von Erzbischof Oscar Urbina Ortega, dem Vorsitzenden der Kolumbianischen Bischofskonferenz, nutzt den Papstbesuch, um von Franziskus zwei Geistliche seligsprechen zu lassen: Bischof Jesus Emilio Jaramillo Monsalve (1916-1989), der von Milizen entführt und erschossen wurde, und den Priester Pedro Maria Ramirez Ramos (1899-1948), eines der ersten Opfern des Guerillakonflikts.
Ganz oder gar nicht: So geht Versöhnung
Es hat geregnet vor der Festmesse. Das weite Gelände, das Platz für eine Million Besucher bieten sollte, ist aufgeweicht. Weite Zonen bleiben leer, am Ende sind es vielleicht 200.000 oder 350.000, die der drückenden Schwüle und dem Schlamm trotzen und Franziskus hören. Weil an diesem Tag ein Marienfest ist, holt der Papst ein bisschen aus, um einen Bogen zu schlagen von der Muttergottes und ihrem Mann Josef, deren Ahnengeschichte ebenso von Schatten und Ungerechtigkeiten gekennzeichnet ist wie die Geschichte Kolumbiens.
"Was sind die Wege zur Versöhnung?", fragt Franziskus und antwortet: "Wie Maria 'Ja' zu der ganzen Geschichte zu sagen und nicht nur zu einem Teil; wie Josef Leidenschaften und Stolz beiseitezulegen; wie Jesus Christus diese Geschichte auf uns zu laden, anzunehmen, zu umarmen."
Der Papst wählt seine Worte weise
Es genügt, sagt der Papst, wenn nur einige die Versuchung zur Rache überwinden, "den Mut fassen, den ersten Schritt in diese Richtung zu tun - ohne darauf zu warten, dass die anderen es tun". Hier applaudieren viele, wie auch kurz zuvor, als er an Patriarchalismus und Chauvinismus gegenüber Frauen kritisiert.
Franziskus hat seine Predigt mit Bedacht formuliert; er differenziert. Bereitschaft zu Vergebung bedeute nicht, Unterschiede und Konflikte zu verschleiern. Es bedeute auch nicht, "strukturelle Ungerechtigkeiten zu legitimieren", sagt er. "Der Rückgriff auf Versöhnung darf nicht dazu dienen, sich Situationen der Ungerechtigkeit zu fügen."
Überall Versöhnung gefordert
Das ist eine markante Forderung - denn in ihr treffen sich sowohl die Befreiungstheologie als auch deren Kritiker wie der damalige Glaubenspräfekt Kardinal Joseph Ratzinger. Vielleicht nicht zufällig erwähnt Franzikus an dieser Stelle Johannes Paul II. (1978-2005); jenen Papst, der die Auseinandersetzung mit der Befreiungstheologie und ihrer Nähe zu linken politischen Systemen führte. Schon am Donnerstag hatte Franziskus in seiner Rede vor Bischöfen in Bogota betont, er wolle in Kontinuität mit der Lehre seiner Vorgänger verstanden werden. Nicht als Revolutionär also.
Noch eine andere Versöhnung schneidet Franziskus an, jene mit der Natur. "Es ist kein Zufall, dass wir unsere Besitzgier und unser Herrschaftsstreben auch an ihr ausgelassen haben", sagt er. Das Departement Meta, dessen Hauptstadt Villavicencio ist, reicht bereits nach Amazonien hinein. Dass ihm der Schutz dieses Natur- und Kulturraums ein Anliegen ist, macht Franziskus ebenfalls vor den kolumbianischen Bischöfen deutlich, als er die "Weisheit der indigenen Völker Amazoniens" beschwört und appelliert, "von ihnen die Unantastbarkeit des Lebens und die Achtung der Natur zu lernen".
Am Ende der Messe stellen sich dem Papst zehn Betroffene der Überschwemmungsregion Mocoa vor. Eine Mutter mit zwei schwerkranken Kindern bittet um seinen Segen. Und in diesem Moment wirkt die eigene Not schwerer als die historische Dimensionen von Versöhnung.