Fünf lange Jahrzehnte hat der Guerillakrieg gedauert. Grund genug für Papst Franziskus, mit dem Frieden keine Zeit zu verlieren. An seinem ersten Besuchstag in Bogota benennt er, was er für die Zukunft dieses lateinamerikanischen Landes für zentral hält. Präsident Juan Manuel Santos scheint darauf erstaunlich gut vorbereitet - vielleicht besser als manche Bischöfe.
Es herrscht ein augenfälliger Einklang, als der 66-jährige Santos den Papst offiziell im Präsidentenpalast empfängt. Mit ungezwungener Würde geleitet er ihn über den roten Teppich, an seiner Seite die ebenso souveräne Präsidentengattin Maria Clemencia Rodriguez. Kinder umstürmen sie, ein Junge schenkt dem Papst eine venezolanische Fahne. Nichts kann sie irritieren.
Einheit und Versöhnung
Durch die Rede des Präsidenten ziehen sich Einheit und Versöhnung. Natürlich knüpft Santos bei jenem "schändlichen Konflikt" mit der Guerilla an, aber er spannt den Bogen weiter. "Es nutzt nichts, Gewehre zum Schweigen zu bringen, wenn wir in unseren Herzen bewaffnet bleiben", sagt er, und: "Wir müssen fähig werden, zu vergeben und um Vergebung zu bitten."
Eine Rede ohne Anklage, ohne Anspielungen auf Versäumnisse anderer, ohne die peinlichen Schrägheiten, die sich oft einstellen, wenn Politiker versuchen, religiöse Muster zu bedienen. Bis in die Wortwahl zeigt sich eine beachtliche Nähe zu der folgenden Ansprache von Franziskus.
"Wurzel der sozialen Übel"
Auch dieser blickt über den Friedensschluss hinaus. Die Bürger müssten "in ihrer Freiheit geachtet und durch eine stabile Ordnung geschützt werden". Die Gesetzgeber hätten die strukturellen Ursachen für Armut zu beseitigen, die ungleiche Verteilung der Einkünfte, die "Wurzel der sozialen Übel".
In der Hauptstadt macht sich Franziskus zur Stimme der Entferntesten, der Campesinos, "diejenigen, die ausgebeutet und geschunden werden, jene, die keine Stimme haben, weil man sie ihnen geraubt oder nicht gegeben" hat. Er klagt eine stärkere Teilhabe der Frauen ein, erinnert an die Gleichberechtigung aller ethnischer Gruppen. Ähnlich bekannte sich kurz zuvor Santos dazu, einander in der Verschiedenheit anzunehmen, "nicht als Last, sondern als Geschenk".
Fünf Reden
Viele Themen führt Franziskus an diesem Tag noch weiter, vor Jugendlichen, Bischöfen, dem Leitungskomitee des Lateinamerikanischen Bischofsrats CELAM, bei seiner ersten großen Messe im Simon-Bolivar-Park vor laut Stadtverwaltung rund 1,3 Millionen Besuchern. Fünf Reden hält er nacheinander, fast die Hälfte aller seiner Ansprachen während seines Besuchs bis Sonntag.
Seine Hoffnung gilt der Jugend. Ihr spricht er vor der Kathedrale Bogotas das Potenzial zu, "das Land aufzubauen, von dem wir immer geträumt haben". Vier Mal bittet er sie, den Älteren zu helfen, überall dort, wo sie viel zu lang hinter den Anforderungen zurückblieben.
Kollegialität und Transparenz untereinander
Auch die Bischöfe lädt er ein, ihren Teil zu tun, nur weniger höflich. "Glaubt nicht, dass die Summe eurer armseligen Tugenden oder die Schmeicheleien der jeweiligen Mächtigen den Erfolg der euch von Gott anvertrauten Aufgabe garantieren." Zwischen den Zeilen lässt Franziskus durchblicken, dass Kirchenleiter zu leicht mit den Mächtigen kungelten, es an Kollegialität und Transparenz untereinander fehlen ließen.
Auch die Kirche, so der Papst, ist nicht unschuldig, dass dieses Land bislang hinter seinen Möglichkeiten zurückblieb: "Kolumbien ist nie ein ganz erreichtes Ziel gewesen", sagte er den Bischöfen. Schon im Präsidentenpalast klang das an, als Franziskus Gabriel Garcia Marquez zitierte, den großen Nationalschriftsteller.
"Hundert Jahre Einsamkeit"
Sie sei möglich, sagte der Papst mit den Worten Garcias, "die neue und mitreißende Utopie eines Lebens, bei dem niemand - bis zur Art des Todes - über einen anderen entscheiden darf, eines Lebens, in dem Liebe wirklich wahr und Glück möglich ist" - eine Anspielung auf "Hundert Jahre Einsamkeit", Garcias melancholisches Liebeslied auf sein Volk, das es nicht schafft, aus dem Schatten der Geschichte zu treten. "Es ist viel Zeit mit Hass und Rache vergangen", sagte der Papst.
"Die Einsamkeit, immer in Konfrontation zu leben, währt schon Jahrzehnte und riecht alt wie hundert Jahre." Er sei, so Franziskus, gekommen, um den Kolumbianern zu sagen, dass sie nicht allein seien bei ihrem Schritt heraus aus dieser muffigen Vergangenheit.