Städte für das Leben – Städte gegen die Todesstrafe

"Cities for Life 2017"

Am 30. November 1786 hat erstmals ein europäischer Staat die Todesstrafe abgeschafft: Das Großherzogtum der Toskana. An jedem 30. November engagieren sich daher Menschen aus aller Welt für die Abschaffung der Todesstrafe. 

Proteste gegen die Todesstrafe / © Maurizio Gambarini (dpa)
Proteste gegen die Todesstrafe / © Maurizio Gambarini ( dpa )

domradio.de: 2002 hat die katholische Gemeinschaft Sant'Egidio den ersten Welttag "Städte für das Leben – Städte gegen die Todesstrafe" (Cities for life – Cities against the Death Penalty) durchgeführt. Die Initiative lädt alle Städte ein, ein sichtbares Zeichen für die Bürger und die Welt zu setzen. Seit dem 18. Jahrhundert wird die Todesstrafe in Teilen Europas geächtet. Was haben die Menschen damals im Großherzogtum Toskana verstanden, was Amerika und China nicht verstehen?

Pfarrer Matthias Leineweber (Leitungsteam von Sant'Egidio Deutschland): Ich denke, das war die Strömung der Aufklärung und man hat einfach die Rechte des Menschen mehr in den Mittelpunkt gestellt und sich vor allen Dingen gegen Staatswillkür gewehrt. Außerdem ist man zu der fortschrittlichen Ansicht gekommen, dass das menschliche Leben den höchsten Stellenwert hat und dies müsse unter allen Umständen geschützt werden. Das ist eine herausragende Erkenntnis, die sich leider bis heute – über 200 Jahre später – noch nicht durchgesetzt hat.

domradio.de: Vor zehn Jahren haben die Vereinten Nationen eine Aussetzung der Todesstrafe beschlossen. Was bedeutet das und warum wird sie trotzdem immer noch angewandt? 

Leineweber: Das war eine sehr wichtige Resolution in der UNO 2007, die jetzt auch schon verschiedene Male wiederholt wurde. Mit zunehmender Zustimmung fordern Staaten weltweit die Todesstrafe auszusetzen. Das letzte Mal 2016 im Dezember mit 117 Ja-Stimmen. Das ist also mittlerweile eine große Mehrheit und auch eine gute Tendenz. Allerdings gibt es sehr große wichtige Staaten, die sich dieser Tendenz noch nicht anschließen können. Da ist noch weiter Überzeugungsarbeit notwendig.

domradio.de: Die katholische Kirche verurteilt die Todesstrafe. Papst Franziskus hat vor ein paar Wochen im Oktober noch betont: "Kein Mensch, nicht einmal der Mörder verliert seine Menschenwürde" – Das ist so ganz anders als das "Auge um Auge" in der Bibel. Was hat sich da in 2000 Jahren bei uns Menschen geändert? 

Leineweber: Ich würde sagen, dass das Verständnis vom Menschen sich nochmal verändert hat und dass der Mensch nicht das Recht hat einzugreifen, wo Gott alleine zu entscheiden hat, vor allen Dingen was das Leben betrifft. Es war lange ein Widerspruch, auch innerhalb der katholischen Kirche, dass man sich am Anfang des Lebens massiv für den Lebensschutz einsetzt, doch am Ende nicht. Deshalb war es ganz wichtig, was der Papst vor wenigen Wochen gesagt hat. Dieses offene Missverständnis, das vielleicht noch im Katechismus enthalten war, dass man das beseitigt hat. Er sagte, die katholische Kirche könne in keinem Fall zustimmen, jemandem das Leben zu nehmen. Das war jetzt nochmal ein Fortschritt in 2017 Jahren.

domradio.de: Die Länder, die die Todesstrafe abschaffen, werden immer mehr werden. Sie als Organisation Sant'Egidio setzen sich schon seit 1978 gegen die Todesstrafe ein. Wie versuchen Sie die Länder zu überzeugen, die noch dahinter stehen?

Leineweber: Das ist ganz unterschiedlich. Zum Einen mit Bürgerengagement wie am heutigen Tag. "Städte für das Leben" möchte die Bürger der Zivilgesellschaft mit einbeziehen, Aufklärungsarbeit leisten und über das Thema ins Gerspräch kommen. Mit der Aktion sollen rationale und vernünftige Gründe eingebracht werden, warum die Todesstrafe in der heutigen Zeit nicht sinnvoll ist. Auf der anderen Seite versuchen wir die Politiker zu sensibilisieren. Gerade was Afrika betrifft, finden in Rom regelmäßig Kongresse für Justizminister statt. Der neueste Kongress ist gerade zu Ende gegangen. Da geht es manchmal auch einfach darum, ins Gespräch zu kommen und die Frage zu stellen, warum europäische Länder fast ausnahmslos ohne Todesstrafe auskommen. Wie könnte das in Afrika aussehen? Warum ist das vielleicht auch ein Zeichen für die Humanisierung einer Gersellschaft, die sehr von Gewalt geprägt ist. Das sind einfach wichtige Ideen und Anregungen, wie man rechtlich vorgehen kann. Das hat in den letzten Jahren einige afrikanische Staaten bewegt die Todesstrafe abzuschaffen.

domradio.de: 2000 Städte weltweit und knapp 200 in Deutschland beteiligen sich bei der Aktion. Können Sie uns Beispiele dafür nennen, wie solche Aktionen heute aussehen? 

Leineweber: Ich finde es sehr schön, dass sich in den letzten Jahren in Stuttgart da sehr viel bewegt, auf kommunaler Ebene, aber auch bei der Landesregierung, die sich daran beteiligt. Dort wird die Villa Reitzenstein, der Sitz des Minsiterpräsidenten angestrahlt. Es werden Unterschriften in der Stadt gesammelt. Es sind Menschen unterwegs, auch Mitglieder von Sant'Egidio, die das Gespräch mit der Bevölkerung suchen, um Argumente zu verbreiten, die die Menschen dort zum Nachdenken bringen. Es soll darauf aufmerksam machen, dass das auch bei uns Thema ist, obwohl die Bundesrepublik die Todesstrafe nach dem Zweiten Weltkrieg sofort abgeschafft hat. Aber leider wird in vielen Teilen der Welt diese grausame Praxis noch angewandt. Europa kann einen wichtigen Beitrag leisten für eine Humanisierung der ganzen Welt. 

Das Gespräch führte Uta Vorbrodt. 


Sant'Egidio lädt zum Weltfriedenstreffen ein / ©  Daniel Naupold (dpa)
Sant'Egidio lädt zum Weltfriedenstreffen ein / © Daniel Naupold ( dpa )
Quelle:
DR
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