DOMRADIO.DE: Die Jüdische Gemeinde Mülheim-Duisburg-Oberhausen hat ihr traditionelles Lichterfest abgesagt. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hatte im Vorfeld davor gewarnt, jüdische Feiern unter freiem Himmel abzuhalten. Diese Konsequenz der jüngsten Antisemitismus-Welle in Deutschland schockiert nun viele Bürger der Stadt - Juden und Nicht-Juden. Was haben Sie zuerst gedacht, als Sie gehört haben, dass die jüdische Gemeinde ihre öffentliche Chanukkafeier auf einem zentralen Platz der Stadt absagt?
Markus Püll (Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Mülheim-Duisburg-Oberhausen und Vorstandsmitglied der katholischen Gemeinde Sankt Maria Geburt): Also, ich war schon sehr enttäuscht über die Absage. Die Veranstaltungsform, die die jüdische Gemeinde nun alternativ gewählt hat, kann ich verstehen: Am siebten Tag von Chanukka, am kommenden Montag, wird eine gemeinsame Feier in der jüdischen Gemeinde in Duisburg nachgeholt und mit einem Konzert untermalt.
Aber die Absage der Stadt Mülheim und des Oberbürgermeisters Ulrich Scholten (SPD) ist bei mir schon auf großes Unverständnis gestoßen - und bei der Deutsch-Israelischen Gesellschaft ebenfalls. Der Oberbürgermeister hat zwar starke Worte gefunden, aber den Worten keine Taten folgen lassen. Er hätte doch sagen müssen: "Ich stelle im Auftrag der Stadt Mülheim eine Kerze an diesem sehr geschichtsträchtigen Synagogenplatz auf. Hier stand früher die Synagoge und genau hier zeige ich Solidarität. Und die Mülheimer und Mülheimerinnen fordere ich auf, an meiner Seite zu stehen". Das wäre ein deutliches Zeichen gewesen, aber diese Chance hat er leider vertan.
DOMRADIO.DE: Sie haben in den vergangenen Jahren mehrfach an der Lichterfeier auf dem Synagogenplatz teilgenommen und erzählt, dass da immer zwischen 150 bis 200 Leute dabei waren. Wie läuft das Fest normalerweise ab?
Püll: Am Synagogenplatz liegt das neue Medienhaus in Mülheim, da gibt es eine schöne Plattform, auf der der Leuchter mit den sieben Kerzen aufgestellt und die Kerze Nummer eins dann entzündet wird. Der Rabbiner aus der jüdischen Gemeinde singt und betet dazu und die Mülheimerinnen und Mülheimer zeigen anhand ihrer Anzahl auch die Solidarität zu unseren jüdischen Mitbürgern und auch zum Staate Israel. Das ist immer eine herausragende Veranstaltung in der Adventszeit – für uns Christen, aber natürlich auch für die jüdischen Gläubigen. Von daher ist es doppelt traurig, dass in diesem Jahr Stadt und Oberbürgermeister keine Haltung zeigen und dass sie diese Veranstaltung nicht als Zeichen der Solidarität mit unseren jüdischen Mitbürgern doch durchgeführt haben.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet das denn, dass sich jüdisches Leben in Deutschland aus Angst vor Übergriffen aus dem öffentlichen Raum zurückzieht?
Püll: Ich finde das entsetzlich. Es gibt allerdings auch deutsche Städte, in denen die Feierlichkeiten stattgefunden haben. Zum Beispiel in Berlin. Die dortige jüdische Gemeinde und die Stadt Berlin mit ihrem Oberbürgermeister Müller haben ja das Chanukka-Fest am Wochenende gefeiert und Kerzen angezündet. Deshalb ist mir die Absage der Stadt Mülheim auch völlig unverständlich. Die neu gewählte Veranstaltungsform der jüdischen Gemeinde müssen wir natürlich respektieren.
Aber gerade angesichts des zu beklagenden Antisemitismus ist es doch gerade die falsche Antwort, sich dann nicht zu zeigen. Wir sollten doch besser gemeinsam mit den jüdischen und christlichen Glaubensgeschwistern unsere gegenseitige Solidarität zeigen. Wir sollten auch nach außen zeigen, dass wir uns nicht unterkriegen von diesem Antisemitismus. Das ist nicht die Mehrheit der Deutschen, die diesen Antisemitismus vertritt, dass ist eine Minderheit und das müssen wir immer wieder deutlich sagen und zeigen.
DOMRADIO.DE: Was können, was sollten wir als Bürger tun, um jüdisches leben in Deutschland zu schützen?
Püll: Ich stehe noch unter dem Eindruck einer Studienreise, die wir als Deutsch-Israelische Gesellschaft vor drei Wochen mit 20 Schülern aus Essen, Duisburg und Mülheim durchgeführt haben. Das heißt für mich, das Land und die Region kennenzulernen. Eine 5000 Jahre alte Geschichte, 70 Jahre Staat Israel, und das muss unser Ziel sein: Uns einzusetzen für Frieden in der Region und für Grenzen, die festgeschrieben sind und an die sich alle halten, um dann friedlich im Nahen Osten, aber auch hier in Deutschland leben zu können. Nur so können wir Verständnis füreinander aufbringen, indem wir uns gemeinsam zeigen, die Länder bereisen und uns für ihre jeweilige Geschichte interessieren.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.