KNA: Sie hatten zwei interessante Begegnungen mit Böll.
Prälat Dr. Norbert Feldhoff (Früherer Kölner Generalvikar und Dompropst): Ja, er bat 1982 um ein Gespräch mit mir als Generalvikar. Das war eine einmalige Szene: Er kommt in mein Büro rein und guckt sich um. Ich sage, Herr Böll, Sie schauen sich so um, Sie müssen das Büro doch kennen. - Wieso?, sagt er. - Sie waren doch schon bei meinem Vorgänger Peter Nettekoven. - Woher wissen Sie das?, fragt er. Und dann kommt der entscheidende Satz, da habe ich wirklich Böllsch reagiert: Herr Böll, wir haben doch eine Akte über Sie!
KNA: Ganz schön frech.
Feldhoff: Ja, aber genau das hat er absolut positiv aufgenommen. Ich habe dabei geschmunzelt, und er dann auch. Mit Nettekoven hatte sich Böll im Zusammenhang mit seinem Kirchenaustritt auseinandergesetzt. Darüber gab es eine Aktennotiz.
KNA: Was wollte Böll denn von Ihnen?
Feldhoff: Böll kam mit dem Wunsch nach einem Druckkostenzuschuss für ein Buch, das er herausgeben wollte. Es ging um Aufsätze des Düsseldorfer Philosophieprofessors Walter Warnach, der durchaus innerkirchlich umstritten war. Insofern ist es im Grunde ein doppelter Witz: Böll, der 1976 wegen der Kirchensteuer ausgetreten war, bittet das Erzbistum Köln um finanzielle Unterstützung für ein kirchenkritisches Buch.
KNA: Kam es dazu?
Feldhoff: Nach Absprache mit Kardinal Höffner haben wir entschieden, dass man einen Druckkostenzuschuss von bis zu 10.000 D-Mark verantworten könnte. Das Buch ist aber dann ohne unsere Mithilfe erschienen. Böll hat ein Vorwort dazu geschrieben.
KNA: Wie hat er auf Sie gewirkt?
Feldhoff: Außerordentlich angenehm. Ein wenig bullig, eher wie ein Handwerker als ein Literat und Schöngeist. Wir waren uns gleich sympathisch. Später erhielt ich eine Einladung von ihm, ins Atelier des Priesters und Malers Herbert Falken in die Eifel zu kommen. Die beiden waren Nachbarn. Bei dieser zweiten Begegnung gab es ein wahnsinnig aufschlussreiches Gespräch, bei dem Böll auch sagte, er benutze das Wort christlich in seiner Literatur nicht mehr, weil die CDU das im Namen trägt. Seine ganze institutionskritische Haltung wurde deutlich und zugleich seine tief verwurzelte Katholizität. Dass er teils dogmatisch irrsinnige Auffassungen vertrat, ist für mich kein Widerspruch.
KNA: Worum ging es denn da?
Feldhoff: Zum Beispiel, dass er mal beim Zentralkomitee der Kommunistischen Partei in Moskau war: Da habe er einen Zusammenhalt gespürt, als ob Jesus dabei wäre. Er verglich das mit einer Art Abendmahlserfahrung. Im Rausgehen hat er noch gesagt, wir sollten uns noch mal treffen. Dazu kam es aber leider nicht mehr, weil Böll überraschend am 16. Juli 1985 starb.
KNA: Damit stellte sich ja für Sie die schwierige Frage nach einer kirchlichen Beerdigung. Wie kam es dazu?
Feldhoff: Pfarrer Falken rief mich an und erzählte, Böll habe immer gesagt: "Falken, Sie beerdigen mich aber!" Das wollte er auch tun, denn obwohl Böll aus der Kirche ausgetreten war, sei er doch in der Wurzel katholisch geblieben. Aber wie Dichter halt sind, war das eine eigens zugeschnittene Katholizität. Falken war von Bölls Frau Annemarie ans Totenbett gerufen worden. Böll habe ein Kreuz in der Hand gehabt, also es waren Zeichen des christlichen Glaubens auch in der Stunde seines Todes bei ihm. Und eindeutig hatte Böll selber Falken gebeten, ihn zu beerdigen, nicht die Familie.
KNA: Das heißt?
Feldhoff: Ich habe als Generalvikar die Genehmigung für die kirchliche Beerdigung ausgesprochen, aber natürlich nach Rücksprache mit dem Erzbischof, Kardinal Höffner. Nach Bölls Beerdigung habe ich um die 100 Briefe bekommen, die meisten negativ. Ein Arzt-Ehepaar aus dem Ruhrgebiet schrieb zum Beispiel, sie seien katholisch, ich sollte ihnen doch sagen, wie man das denn macht, dass man die Kirchensteuer spart und dennoch kirchlich beerdigt wird. Diese bittere Ironie hat mich sehr getroffen. Und dann hat mich jemand beim Vatikan angezeigt wegen der Beerdigung.
KNA: Wie hat Rom reagiert? War die kirchliche Beisetzung rechtens?
Feldhoff: Eindeutig ja. Rom hat bestätigt, dass nach den Regeln des Kirchenrechts die Beerdigung korrekt war. Das Entscheidende: Der Tote wünschte die Beerdigung. In dem Schreiben steht die für heutige Verhältnisse kritische Bemerkung, es sei nicht entscheidend, ob einer die Kirchensteuer bezahlt, was Böll ja nicht mehr getan hatte. Dass er seinen Kirchenaustritt bereut hätte, kann man allerdings nicht sagen. Das ist natürlich völliger Kappes.
KNA: Er hat der Kirche vor allem vorgeworfen, dass sie sich fast als Sprachrohr von CDU/CSU aufgeworfen, andererseits aber in der jungen Bundesrepublik zu wenig die Stimme erhoben habe etwa gegen die Wiederaufrüstung und bei der Aufarbeitung der Naziverbrechen.
Feldhoff: Alles das ist nachvollziehbar, aber es sind keine Themen, mit denen ich mich intensiv befasst habe. Dass sich Böll sehr stark mit seiner Kirche auseinandergesetzt und auch an ihr gelitten hat, zeigt sich deutlich in seinem Leben und Werk.
KNA: Welches seiner Bücher ist Ihnen am nächsten?
Feldhoff: Als junger Priesteramtskandidat habe ich natürlich "Ansichten eines Clowns" gelesen, was ja durchaus kirchenkritisch ist. Da hat Böll viele Personen beschrieben, die ich kannte, zum Beispiel vom Bonner Priesterseminar Albertinum. Das war sehr lustig. Ich habe nicht in Erinnerung, dass ich empört gewesen wäre, wie er das katholische Milieu geschildert hat. Als junger Mensch ist man ja den Prälaten und hohen Herren gegenüber eher skeptisch eingestellt, das ist ganz normal. Böll hatte zu Deutschland und zu seiner Heimatstadt Köln ein gebrochenes Verhältnis. Diese distanzierte Haltung zu Institutionen gehört zu Bölls Persönlichkeit, und dazu zählte auch die katholische Kirche.
Das Interview führte Sabine Kleyboldt.