Hilfswerk Adveniat ruft zu Spenden an Weihnachten auf

"Faire Arbeit.Würde.Helfen"

Die Kollekte, die in den Weihnachtsgottesdiensten gesammelt wird, ist traditionell für das katholische Lateinamerikahilfswerk Adveniat. Dieses Jahr lautet das Schwerpunktthema: "Faire Arbeit.Würde.Helfen".

Kollekte für die Adveniat-Aktion 2017 / © Rolf Vennenbernd (dpa)
Kollekte für die Adveniat-Aktion 2017 / © Rolf Vennenbernd ( dpa )

DOMRADIO.DE: Adveniat unterstützt soziale und pastorale Projekte in Lateinamerika und der Karibik. Warum machen Sie die Arbeitswelt in diesem Jahr zu Ihrem zentralen Thema?

Stephan Jentgens (Adveniat-Geschäftsführer): Adveniat steht unter dem Motto "Dein Reich möge kommen". Das gute Leben und das Leben in Fülle für alle Menschen. Wenn man sich anschaut, wie die Menschen in Lateinamerika leben – natürlich auch weltweit – wie zum Beispiel durch die Globalisierung die zunehmende Armut steigt, dann muss man sagen, können wir an dem Thema Armut nicht vorbeischauen.

Wenn man sich anschaut, wie in Nordamerika die protektionistischen Tendenzen immer weiter steigen, stellen wir fest, dass Lateinamerika massiv darunter leidet. Und um das Überleben zu sichern, ist es wichtig Arbeit zu haben. 

DOMRADIO.DE: Sie machen im Rahmen Ihrer Jahresaktion darauf aufmerksam, dass es auch heute noch Sklaverei gibt. Die Anzahl "moderner Sklaven" wird weltweit auf 46 Millionen geschätzt, obwohl sie weltweit als abgeschafft gilt. Sie sind als Geschäftsführer von Adveniat viel unterwegs: Wo ist Ihnen moderne Sklaverei begegnet?

Jentgens: Moderne Sklaverei hat viele Gesichter. Ein Gesicht sind die Maquila in Zentralamerika und in Mexiko (Anm. d. Red.: Maquila sind Montagebetriebe, die importierte Einzelteile oder Halbfertigware zu Dreiviertel- oder Fertigware für den Export zusammensetzen). Dort werden Textilien – Hosen, Jacken, Hemden – unter unwürdigen Bedingungen zusammengenäht. Die Menschen dort müssen sehr lange arbeiten und erhalten dafür mehr oder weniger einen Hungerlohn. Damit können sie das Überleben ihrer Familie nicht sichern.

Ein weiteres Beispiel sind die Müllkippen von Mexikostadt und Rio de Janeiro, wo ein klares Regime herrscht, wer, wann, welchen Müll aufsammeln darf. Die Erstsammler sind natürlich die Privilegierten. Die Zweitsammler sammeln nur noch die Roh- und Reststoffe auf, die überbleiben.

Moderne Sklaverei herrscht auch in Brasilien, wo in der Landwirtschaft Menschen angelockt werden, um mitzuarbeiten. Ihre Arbeitswerkzeuge müssen sie aber irgendwo bei den Besitzern der Ländereien kaufen und damit erst mal Schulden machen. Und aus diesen Schulden kommen sie dann nie mehr heraus. Das sind drei Beispiele für moderne Sklaverei. 

DOMRADIO.DE: Sind wir als Konsumenten auch daran schuld, weil wir von günstigen Preisen profitieren? Oder fehlt es auch an politischem Willen?

Jentgens: Es ist beides. Es fehlt an politischem Willen, zum Beispiel hat die deutsche Bundesregierung eine ILO Kernarbeitsnorm mit der Nummer 169 noch nicht unterzeichnet, in dem feststeht, dass wenn irgendwo Bodenschätze ausgebeutet werden und dort Menschen unter unwürdigen Bedingungen arbeiten, die Bevölkerung beteiligt werden muss.

Deutschland hat im letzten Jahrtausend offiziell nach außen erklärt, dass sie diese ILO Kernarbeitsnorm unterzeichnet, sie nach innen aber nie ratifiziert. Das bedeutet, dass niemand diese Kernarbeitsnorm einklagen kann.

Das Zweite ist, dass die Gier und die Globalisierung, die durch den Norden gestaltet wird, das Denken, vermeintlich billig und günstig einkaufen, ist ganz weit vorne. Dies hat dazu geführt, dass Menschen an anderen Orten überhaupt nicht leben können. Adveniat hat damit mal getitelt, dass Geiz gottlos ist, während andere große Unternehmen getitelt haben "Geiz ist geil".

DOMRADIO.DE: Sie machen „Faire Arbeit“ zu Ihrem Jahresthema. Wie kann Kirche dieses Phänomen bekämpfen?

Jentgens: Kirche steht mit dafür, dass es andere Wirtschaftsmodelle und andere Wirtschaftssysteme geben kann. Ein Beispiel ist das Genossenschafts- oder Kooperativwesen, das wir in Deutschland gut kennen und was unsere Projektpartner an vielen Orten in Amerika und Lateinamerika praktizieren. Beispielsweise eine Kooperative in Bachajón in Mexiko, wo Kaffee produziert wird, aber nicht nur die Anpflanzung, sondern bis zum wirklichen Verkauf des Kaffees. Alle Wertschöpfungsketten sind in einer Hand. Und damit können tatsächlich diejenigen, die am Anfang zu relativ niedrigen Preisen produzieren müssen, ausgeglichen werden mit denjenigen, die am Ende den Kaffee teuer in den Restaurants verkaufen.

Oder ein anderes Beispiel, bei dem es nicht um das System geht, sondern um die Solidarität an der Seite derjenigen, die am Ende der Sklaverei und des unwürdigen Wirtschaftens stehen. Dort sorgen die katholische Kirche und die katholische Arbeitnehmerbewegung dafür, dass Menschen aus der Sklaverei zurückfinden können. Xavier Jean Marie Plassat aus Brasilien macht das, er hat seit 1995 52.000 Sklaven aus der Abhängigkeit befreit, an der Seite der Armen und mit einem solidarischen Wirtschaften.

DOMRADIO.DE: Das heißt, wenn Papst Franziskus sagt: Diese Wirtschaft tötet, können Sie es so unterschreiben?

Jentgens: Genauso können wir es unterschreiben. Und wir sagen nicht nur diese Wirtschaft tötet, sondern wir sagen, es gibt Alternativen und wir müssen mehr auch aus Lateinamerika lernen. 

DOMRADIO.DE: Weihnachten ist eine Zeit, in der viele Hilfswerke und Organisationen zu Spenden aufrufen, in der man auch bei den Menschen eher auf offene Ohren trifft. Es gibt also viel Konkurrenz - wie gehen Sie damit um?

Jentgens: Entschieden und mit klarem Profil. Wir haben eben darüber gesprochen, wie Adveniat und die Partner sich engagieren. Wir setzen darauf bei den treuen Kollekten- und Mailingspender, um mit ihnen weiter zusammenzuarbeiten.

Aber wir versuchen auch neue Zielgruppen anzusprechen, innerhalb und außerhalb der Kirchen, auch dort, wo die Menschen Advent und Weihnachten feiern und gar nicht mehr so einen starken kirchlichen Bezug haben. Dazu gehören alle Aktivitäten, die wir auf den Weihnachtsmärkten machen, mit den Verbänden, mit Sport. Wir weiten unser Aktivitätenspektrum aus und merken, dass das Anliegen von Kirche und dieser Art von Kirche, präsent zu sein, bei den Menschen mit und ohne Kirchenbezug nach wie vor attraktiv ist. 

Das Gespräch führte Uta Vorbrodt. 


Stephan Jentgens / © Maike Müller (KNA)
Stephan Jentgens / © Maike Müller ( KNA )
Quelle:
DR