Gleichgültigkeit ist Papst Franziskus ein Gräuel - das gilt auch an Weihnachten. Die Botschaft von der Geburt Jesu, so formulierte es das Oberhaupt der katholischen Kirche am Heiligen Abend im Petersdom, solle die Menschen wachrütteln, ihre Augen für das Leid anderer öffnen. Auch heute gebe es "Millionen Menschen, die nicht freiwillig gehen, sondern gezwungen sind, sich von ihren Lieben zu trennen, weil sie aus ihrem Land vertrieben werden".
Welche Konsequenzen daraus auf politischer Ebene zu ziehen sind, wird wohl auch im kommenden Jahr Gegenstand von erbitterten Diskussionen und zähen Verhandlungen sein. Zwar sind viele Probleme inzwischen altbekannt. Aber eben kaum gelöst. EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos mahnte beispielsweise die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu mehr Einigkeit.
Solidarität a la carte?
Diverse osteuropäische Länder, darunter Ungarn und Polen, weigern sich immer noch, aus Griechenland und Italien umverteilte Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. "Solidarität kann es nicht a la carte geben, sie kann nicht freiwillig sein und sie ist nicht verhandelbar", sagte Avramopoulos der "Welt". Ob diese Weihnachtsbotschaft des EU-Kommissars Gehör findet?
In Deutschland appellierten unterdessen Vertreter der beiden großen Kirchen an die Politik, den Familiennachzug für Flüchtlinge nicht länger auszusetzen. "Integration ohne Familie wird nicht gelingen", sagte etwa der katholische Berliner Erzbischof Heiner Koch dem "Tagesspiegel". Ähnlich äußerte sich der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). In der "Passauer Neuen Presse" sprach Heinrich Bedford-Strohm von einem "Gebot der Menschlichkeit" .
Neue Nahrung bekam die Debatte durch einen ARD-Bericht über eine Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts. Die Richter hatten demnach das Auswärtige Amt verurteilt, einem inzwischen 16-jährigen Flüchtling aus Syrien umgehend den Nachzug seiner Eltern und Geschwister zu ermöglichen, obwohl ihm nur der subsidiäre, also eingeschränkte Schutz zuerkannt worden war. Das Außenministerium zog den Angaben zufolge eine bereits eingereichte Berufung zurück.
Hartz IV für Flüchtlinge
Der Familiennachzug ist nur eine der zahlreichen "Baustellen", die auf die noch zu bildende Regierung in Berlin wartet. Die Kommunen sorgen sich unterdessen um die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, sprach gegenüber den Zeitungen der Funke Mediengruppe von alarmierenden Zahlen. Mitte 2017 seien fast 600.000 Flüchtlinge als erwerbsfähige Leistungsberechtigte in der Grundsicherung Hartz IV gewesen - ein Anstieg von über 250.000 Menschen im Vergleich zum Jahr davor. Weniger als 200.000 Flüchtlinge seien dagegen zur Jahresmitte einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen.
Die Herausforderungen bleiben gewaltig. Wie darauf reagieren? Zum Beispiel mit einem härteren Durchgreifen bei Betrügern, meint die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). "Jemand, der seine Identität verschleiert oder Papiere vernichtet hat, muss mit harten Konsequenzen rechnen", sagte sie der "Welt". Der Staat solle dabei auch auf Datenquellen wie Handys zurückgreifen können. Bisher tut er das nur in Ausnahmefällen.
Was uns die Weihnachtsgeschichte lehrt
Für Augenmaß in der Flüchtlingsdebatte warb der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx. "Es können nicht in jedem Jahr eine Million Menschen zu uns kommen", sagte der Münchner Erzbischof der "Welt am Sonntag". "Die für uns entscheidende Frage aber ist, wie man nun in humanitärer und menschenrechtlich akzeptabler Weise vorgeht."
Helfen bei alledem könnte sicherlich eine Portion jener Zuversicht, den Frank-Walter Steinmeier in seiner ersten Weihnachtsansprache als Bundespräsident verbreitete. "Wären wir Menschen nicht auch mutig und offen für das Unerwartete, dann wären schon die Hirten vor Bethlehem auseinander gelaufen." Die Weihnachtsgeschichte erzählt im Übrigen, zumindest beim Evangelisten Matthäus, nicht nur von der Geburt Jesu, sondern auch von einer Flucht: vor den Häschern des Königs Herodes, der in Jesus einen Rivalen sah.