DOMRADIO.DE: Begrüßen sie das Urteil des Bundesgerichtshofs, das die Freisprüche der Scharia-Polizisten aufhebt?
Dr. Werner Kleine (Pastoralreferent der katholischen Cityseelsorge in Wuppertal): Wir wissen noch nicht, mit welcher Begründung der Bundesgerichtshof das Verfahren zurück an das Landgericht in Wuppertal verweist. Mir erscheint wichtig, dass in der ganzen Angelegenheit eine Neubewertung dahingehend erfolgt, dass es hier eben nicht nur um das Tragen von Warnwesten geht. Das tun auch viele andere. Wir haben hier in Wuppertal von der Verkehrspolizei her eine große Initiative. Das sind Motorradfahrer, die ehrenamtlich Leute überwachen. Die tragen auch Warnwesten. Das alleine wird es sicherlich nicht sein.
Ich denke, dass dies genau das ist, was der Bundesgerichtshof hier infrage stellt. Die Scharia-Polizei hat ja noch einiges mehr gemacht. Die sind ja nicht nur mit Warnwesten durch Wuppertal-Elberfeld gelaufen, sondern haben gezielt Personen vor Diskotheken angesprochen, haben darauf hingewiesen, dass dies alles nach den Regeln Scharia, nach den Regeln des Islam nicht erlaubt sei. Da ist viel mehr passiert, als dass da Leute Warnwesten mit Aufschriften getragen haben.
DOMRADIO.DE: Vor dem Landgericht waren die Scharia-Polizisten in der Vorinstanz freigesprochen worden. Waren die denn seitdem wieder in Wuppertal unterwegs? Sind sie irgendwo aufgetaucht?
Kleine: Einen von den Scharia-Polizisten kenne ich. Der ist nach einem Vorfall vor einigen Jahren mit seiner Mutter bei mir gewesen, weil die Mutter sich große Sorgen machte. Ich habe mit ihm sprechen können. Es sind in meinen Augen schon auch naive junge Leute, wobei jung bei 25 Jahren relativ ist. Die wohnen hier noch in Wuppertal, sind aber in dieser Weise nicht mehr öffentlich aufgetreten. Gleichwohl gehören sie mit Sicherheit zum Teil noch dem salafistischen Spektrum an.
Die Salafisten hatten in Wuppertal eine eigene Moschee. Diese ist mittlerweile von der Stadt und den Behörden geschlossen worden, weil es da extremistische Umtriebe gab. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Salafisten aus der Stadt verschwunden wären. Ich gehe davon aus - beziehungsweise in Einzelfällen weiß ich das auch -, dass sich manche dieser Salafisten in anderen Moscheen zum Gottesdienst treffen. Das tun sie dann nicht mehr als salafistische Gemeinde, aber ich gehe nicht davon aus, dass das Salafistentum aus Wuppertal verschwunden ist, sondern eher in den Untergrund abgewandert ist.
DOMRADIO.DE: Aber es ist nicht mehr so ein großes Thema wie im Jahr 2014?
Kleine: Nein. Die Salafisten treten nicht mehr als Gruppe auf. Auch die große "Lies"-Kampagne und ähnliches ist ja teilweise verboten worden. Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll. Ich bin eher ein bisschen besorgt, weil die Umtriebe, die mit dieser Gruppe verbunden sind, nicht mehr in der Öffentlichkeit - wo wir alle draufschauen konnten - stattfinden, sondern hinter den geschützten Mauern mancher Moscheen, was nicht zwingend etwas über die Moscheen an sich aussagt. Aber es scheint mir so zu sein, dass auch teilweise in den Moscheegemeinden die Augen davor verschlossen werden, dass sich da ein bestimmter Personenkreis trifft und offenkundig weiter agitiert.
DOMRADIO.DE: Wie groß ist denn die Salafisten-Szene in Wuppertal?
Kleine: Das kann ich nicht genau sagen, weil die seinerzeit auch aus dem Umland Leute nach Wuppertal gezogen hat. Teilweise haben sie sich in Wohnzimmern getroffen. Unweit von meinem Zuhause war auch einmal eine salafistische Moschee in einem Hinterhof. Da traf man sich in einer Garage. Da werden sich vielleicht 20 Leute getroffen haben. Bei der großen, geschlossenen Moschee, die ich bereits erwähnt hatte, waren es 150 bis 200 Personen. Irgendwo dazwischen wird sich die Gesamtzahl bewegen.
DOMRADIO.DE: Wie gehen Sie von der katholischen Citypastoral mit dieser Scharia-Polizei um? Wenn es jetzt zu einer neuen Verhandlung kommt, dann geht ja möglicherweise die ganze Aufmerksamkeit wieder dahin und die Diskussion von vorne los, oder?
Kleine: Die Diskussion darf in meinen Augen gar nicht verstummen. Ich sehe, dass wir als Kirche da doch oft zu vorsichtig sind – wenn wir denn überhaupt damit umgehen. Scharia-Polizei, Rechtsradikale, all diese extremistischen Gruppierungen und Kreise betreiben ja bisweilen eine perfide Strategie. Sie stehen auf Schulhöfen, vor den Schulhöfen und sprechen dort Leute an, verteilen CDs oder sind mit hippen Videos im Internet unterwegs.
Ich frage mich manchmal, was wir als Kirche dagegen bieten. Wir laden zu Gebetskreisen ein und rufen zur Mission und geistlichen Wegen auf. Das ist alles gut und schön. Ich glaube, dass wir aber noch wesentlich öffentlicher in die Diskussionen einsteigen müssen und uns positionieren müssen. Ich frage mich, wo sind wir als Kirche auf den Schulhöfen? Bieten wir denen da wirklich Paroli? Das ist etwas, was mir persönlich sehr fehlt.
Der Glaube ist auch - aber nicht nur - eine innerliche Sache. Das Christentum hat im vierten Jahrhundert seinen Siegeszug unter anderem deshalb angetreten, weil es damals auch die großen Apologeten gab, die in der Öffentlichkeit mit rhetorischer Finesse aufgetreten sind und sich in die Streitigkeiten der Gesellschaft eingemischt haben. Das fehlt mir heute weitestgehend in der Kirche.
In Anbetracht der Scharia-Polizei und anderer extremistischer Gruppierungen stellt sich die Frage, wo wir uns da positionieren. Dass es nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleibt, sondern dass wir den Jugendlichen, die da offensichtlich agitiert werden sollen, eine Alternative bieten, die auch wirklich reizvoll ist.
Das Interview führte Dagmar Peters.