Der Vatikan hat dieser Tage zwei ziemlich große Baustellen. Sie klingen ähnlich und sind doch ganz grundverschieden: Chile und China. Bei beiden aber steht nicht weniger als der politische Ruf von Papst Franziskus auf dem Spiel. In Südamerika geht es (einmal mehr) um das Dauerthema sexueller Missbrauch - und ob ein Franziskus-Bischof einst einen Vorgesetzten gedeckt hat. Nicht weniger heikel ist die Baustelle China. Dort herrscht Verunsicherung unter den Katholiken - weil der Vatikan mit der Führung in Peking offenbar sehr konkret über die Besetzung von Bischofsstühlen verhandelt.
Eine Besonderheit im chinesischen Katholizismus ist die Trennung in quasi zwei Gemeinschaften: die vom Staat anerkannte sogenannte Patriotische Vereinigung und die romtreue sogenannte Untergrundkirche. Teilweise existieren sie an einem Ort nebeneinander. Offizielle diplomatische Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Peking gibt es nicht; die Hauptstreitpunkte: die Anerkennung Taiwans durch den Vatikan - und eben die Frage der Bischofsernennungen. Ist das eine Hoheitsaufgabe des Staates - oder des Papstes?
Amtsverzicht von romtreuen Untergrundbischöfen?
Von den rund 100 chinesischen Bischöfen sind 7 "patriotische" von Rom nicht anerkannt, davon 3 ausdrücklich exkommuniziert. Umgekehrt amtieren 30 bis 40 Untergrundbischöfe ohne Genehmigung Pekings. Mehr als die Hälfte aller Amtsträger sind unstrittig. Die Gerüchte verdichten sich, dass nach Jahrzehnten des Ringens nun grundsätzlich Bewegung in die Sache kommen könnte. Berichten zufolge, die Kenner der Materie für glaubwürdig und plausibel halten, verhandeln beide Seiten derzeit hinter verschlossenen Türen über eine künftige gegenseitige Anerkennung der strittigen Kandidaten.
Für Aufsehen und Unmut sorgen Informationen, wonach Rom bereit sein soll, zwei romtreue Untergrundbischöfe zum Amtsverzicht zu bewegen, um im Rahmen einer Gesamteinigung mit Peking Platz für die patriotischen Kandidaten zu machen. Im Bistum Mindong wäre ein solcher Schritt besonders prekär: Der dortige "Untergrundbischof" Joseph Guo Xijn ist erst 59 Jahre alt. Ein Abzug Guos wäre den Katholiken im Untergrund wohl nur schwer vermittelbar.
Auch Experten sind sich offenbar nicht sicher, was tatsächlich vor sich geht. Wenig bis gar nichts dringt vom Inhalt der Verhandlungen nach außen. Auch Katholiken vor Ort tappen im Dunkeln, fühlen sich nicht mitgenommen, wie der asiatische Pressedienst Ucanews berichtet.
Neue Spaltungen nicht ausgeschlossen
Die Befürchtung: Was wird aus uns, wenn Rom über unsere Köpfe mit der Regierung paktiert? Sogar neue Spaltungen werden nicht ausgeschlossen, sollten bislang Romtreue den vatikanischen Kurs nicht mitgehen wollen. Dazu kommt das Risiko: Welche möglichen Zusagen hält das kommunistische Regime überhaupt ein?
Wortführer der Kritiker ist ausgerechnet ein Kardinal: Joseph Zen Ze-kiun, von 2002 bis 2009 Bischof von Hongkong. Der 86-Jährige ist der Freigeist unter den Bischöfen im so höflichen China. In China sei "alles Fake", sagt er etwa. Solange die Kommunistische Partei regiere, herrsche eine "Kultur der Lüge". Allerdings reibt man sich verwundert die Ohren angesichts der scharfen Töne, die der Kardinal dieser Tage auch in Richtung Rom sendet. Von "Ausverkauf" ist da die Rede, von "Unkenntnis", "Fehleinschätzungen", "Naivität".
Zen fühlt sich gar an die Vatikanische Ostpolitik der 1970er Jahre erinnert, als der spätere Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli den Kommunisten in Mittel- und Osteuropa teils fatale Zugeständnisse machte, um das Überleben der Kirche vor Ort zu sichern. Damals wurden einige romtreue Bischöfe abgezogen, die den Regimes zu unbequem waren.
Mehr Freiheit und Sicherheit für die Katholiken in China
Das Hauptziel Roms für die Verhandlungen mit Peking dürfte mehr Freiheit und Sicherheit für die Katholiken sein. Dementsprechend wirbt der Vatikan als Reaktion auf die jüngsten Veröffentlichungen um Vertrauen - und verbittet sich Behauptungen über Differenzen zwischen Papst Franziskus und Kurienmitarbeitern in der China-Frage, die nur Polemiken und Verwirrung nährten.
Für Katharina Wenzel-Teuber, Chefredakteurin der vom China-Zentrums in Sankt Augustin bei Bonn herausgegebenen Zeitschrift "China heute", würde ein solcher Verhandlungskurs Pekings durchaus in den Kontext des neuen chinesischen Religionsgesetzes passen, das zum 1. Februar in Kraft trat und dem Staat mehr Kontrolle und Durchgriff auf inoffizielle Religionsgemeinschaften verschafft. Die bisherigen Grauzonen, innerhalb derer eine gewisse Toleranz der lokalen Behörden etwa für sogenannte Hauskirchen möglich war, sollen nun besser ausgeleuchtet, die Spielräume geringer werden.
"Ein Auge auf und ein Auge zu", so beschreibt Wenzel-Teuber die bisherige Praxis. Allerdings: Auch die romtreue Untergrundkirche agiert immer schon ohne gesetzliche Grundlage. Ein Zugriff des chinesischen Staates wäre im Ernstfall jederzeit möglich.