Eine Kampfrede war es, vielleicht die Rede ihres Lebens: Auf dem Bundesparteitag der SPD Ende Januar in Bonn trat Fraktionschefin Andrea Nahles nach Martin Schulz an das Rednerpult. Der Applaus für den Parteichef war verhalten, der für Nahles laut und überzeugend - wie die Rednerin selbst. Leidenschaftlich warb die 47-Jährige für Koalitionsverhandlungen mit der Union und warnte vor Neuwahlen und möglichen Folgen. "Wir werden verhandeln, bis es quietscht auf der anderen Seite", versprach Nahles.
Langes Ringen und Kämpfen
Es hat gequietscht. Zehn Tage haben SPD und Union um einen Koalitionsvertrag gerungen. Am Mittwoch wurde das Ergebnis vorgelegt und die Ressortverteilung verkündet. Die SPD erhält wichtige Ministerien, falls die Parteimitglieder mehrheitlich der Koalition zustimmen. Für Nahles hat sich das Kämpfen aber bereits ausbezahlt: Sie soll nach dem Fraktionsvorsitz möglicherweise auch den Parteivorsitz erhalten. Das verkündete SPD-Chef Martin Schulz am Mittwochabend in Berlin. Er will den Parteivorsitz niederlegen, sofern die SPD-Mitglieder dem Koalitionsvertrag zustimmen. Er wolle dann dem Vorstand vorschlagen, dass Nahles die Partei kommissarisch führe.
Geplant sei ein Sonderparteitag, auf dem Nahles zur SPD-Vorsitzenden gewählt werden könne. Berichten zufolge wird mit dem Ergebnis des Mitgliedervotums am 4. März gerechnet. Schulz will - entgegen seiner ursprünglichen Absicht - Außenminister im Kabinett Merkel werden. Noch vor wenigen Jahren hätte kaum jemand aus ihrer Partei Nahles für diese Posten auf dem Schirm gehabt. Vielen war die ehemalige Juso-Vorsitzende nicht erst seit ihrer Ablehnung der Agenda 2010 zu links und als immer wieder lauthals schimpfende Rednerin zu krawallig.
Image einer Nervensäge
Als Arbeitsministerin setzte Nahles ab 2013 viel daran, das Image einer Nervensäge wieder loszuwerden. Ihr Ministerium galt als das fleißigste der vergangenen Legislaturperiode. Mit viel Pragmatismus und zähem Ringen um Kompromisse setzte Nahles unter anderem die Rente mit 63 Jahren und den Mindestlohn durch. Für das "katholische Mädchen vom Lande", wie sie sich selbst einmal bezeichnet hat, beginnt damit ein neues Kapitel in ihrer Karriere.
Aus der Provinz kommt sie tatsächlich. Nahles wuchs in einem katholischen Elternhaus als Tochter eines Maurermeisters in der Eifel auf. Nach dem Abitur - in der Abiturzeitung gab sie "Hausfrau oder Bundeskanzlerin" als Berufswunsch an - studierte sie Politik, Philosophie und Germanistik in Bonn.
Linkes Engagement durch katholische Kirche
Parallel dazu stieg Nahles in der SPD auf: Bereits als 18-Jährige trat sie in die Partei ein, 1995 wurde sie Bundesvorsitzende der Jusos. Mitglied im SPD-Parteivorstand ist sie seit 1997, dem Präsidium gehört sie seit 2003 an. In den Bundestag kam sie erstmals 1998. Bevor sie Arbeitsministerin wurde, war sie vier Jahre lang SPD-Generalsekretärin.
Sie ist katholisch und in ihrem Glauben tief verwurzelt, was vor dem Erscheinen ihrer Biografie 2009 Jahren nur wenige ihrer Parteigenossen wussten. "Aus meinem Christsein lässt sich mein Kompass für Gerechtigkeitsfragen entwickeln", erklärte sie in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Und weiter: "Im Grunde entstand das linke, das sozialdemokratische Engagement aus meinem Engagement in der katholischen Kirche."
So war Nahles Messdienerin und in einer ökumenischen Jugendgruppe aktiv. Mittlerweile ist sie Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Ihr Glaube habe sie als Mensch geprägt, «lange bevor» sie in die SPD eingetreten sei, betont sie. Damit "hausieren" gehen wolle sie aber nicht.
Glaube spielt wichtige Rolle
Trotzdem macht sie keinen Hehl daraus, dass im Bundestag bei ethischen Fragen ihr Glaube und das daraus abgeleitete Menschenbild eine wichtige Rolle spielen. So etwa als der Bundestag über strengere Vorlagen beim Embryonenschutz oder über die Neuregelung der Sterbehilfe abstimmte. Unkritisch sieht sie ihre Kirche nicht. So bemängelte sie etwa deren Umgang mit Homosexuellen. Auch sei Abtreibung für sie keine Sünde, es müsse ihr allerdings eine gründliche Gewissensentscheidung vorausgehen.
Als Partei- und Fraktionschefin einer SPD, die seit Jahren unter sinkenden Zustimmungswerten leidet, steht sie vor historischen Herausforderungen. Dabei wird der Mutter einer kleinen Tochter, die vom Vater getrennt lebt, sicher auch der Glaube helfen: Er sei ihr "Movens, ihre Triebkraft auch in schwierigen Zeiten".