DOMRADIO.DE: Die Veranwortlichen der Essener Tafel sagen, man habe sich zu diesem Schritt entschlossen, weil immer mehr Migranten gekommen seien – und sich wegen häufiger Rempeleien und Rangeleien deutsche Bedürftige nicht mehr zu den Ausgabestellen getraut hätten. Sie kennen die Tafel – und Sie kennen auch den Vorsitzenden, Jörg Sartor, dessen Name jetzt in den Negativ-Schlagzeilen steht. Waren die Zustände an der Tafel wirklich so chaotisch?
Rudi Löffelsend (Vorstandsmitglied der Caritas-Flüchtlingshilfe Essen e.V.): Nach dem, was ich mitbekommen habe, war es tatsächlich chaotisch. Das liegt auch an der Mentalität von orientalischen Flüchtlingen. Wir hatten bis letztes Jahr ein Möbellager, in dem es ähnlich zuging. Nur hatten wir auch arabische Mitarbeiter, die scheinbar mit dem Chaos besser fertig geworden sind als unsere deutschen.
DOMRADIO.DE: Der Leiter der Tafel, Jörg Sartor, arbeitet seit mehr als zehn Jahren ehrenamtlich für die Tafel – jetzt steht er in der Kritik. Am Wochenende wurde die Einrichtung mit Nazisymbolen beschmiert. Sartor denkt sogar darüber nach, hinzuschmeißen. Wie finden Sie seine Entscheidung vorerst nur noch Deutsche zur Tafel zu lassen? Haben Sie Verständnis dafür?
Löffelsend: Von der Sache her fand ich es nicht so klug. Ich kann die Situation nachvollziehen, aber man hätte auch andere Entscheidungen treffen können.
DOMRADIO.DE: Andere Tafeln haben sich längst alternative Lösungen überlegt, zum Beispiel zeitliche Staffelungen, bei denen ältere Menschen und Frauen früher die Tafel betreten dürfen. Oder sie setzen Mitarbeiter ein, die die Sprache der Migranten sprechen und für Ordnung sorgen können. Warum haben sie wohl in Essen nicht erst einmal einen solchen Weg versucht?
Löffelsend: Die Tafel ist ja relativ etabliert, es gibt 120 ehrenamtliche Mitarbeiter. Alle sind da ehrenamtlich, zum Teil schon in einem reiferen Alter, weil sie von Anfang an dabei waren. Und für manche ist es ein bisschen schwierig, neue Leute zuzulassen – nicht nur Ausländer, auch deutsche. Ich hätte es schon für einen klügeren Weg gefunden [Anm. d. Red.: Mitarbeiter einzusetzen, die die Sprache der Migranten sprechen], weil diese sehr beruhigend einwirken können oder auch mal sehr deutlich werden, wenn es sein muss. Das wurde nicht rechtzeitig gemacht.
DOMRADIO.DE: Essen ist eine Stadt mit extremen sozialen Unterschieden. Um die 100.000 Menschen leben beispielsweise von Grundsicherung. Sind Verteilungskämpfe nicht vorprogrammiert, wenn immer mehr Bedürftige kommen, gleich welcher Herkunft?
Löffelsend: Das ist tatsächlich so und das wird nun überdeutlich durch die Geschichte mit der Tafel. Deshalb finde ich die ganze Sache auch nicht so schlimm, weil sie deutlich macht, wie es tatsächlich unten [Anm. d. Red.: in den unteren Schichten] aussieht. Das ist etwas, das der Durchschnittsbürger sonst nicht so mitbekommt.
DOMRADIO.DE: Selbst die Kanzlerin hatte sich in den Fall eingeschaltet und angemahnt "da sollte man nicht solche Kategorisierungen vornehmen. Das ist nicht gut". Wie empfinden Sie die Diskussion, die gerade auf politischer Ebene geführt wird?
Löffelsend: Ich empfand es zum Teil als sehr empörend, dass Bundespolitiker sich einmischen, die eigentlich dafür zuständig sind, dass solche Zustände erst gar nicht entstehen. Hier geht es um Umverteilung. Wir haben einen sehr großen Satz von Leuten – bei 600.000 Einwohnern rund 100.000 – die von Grundsicherung oder Sozialhilfe leben. Das ist schon ein Batzen. Und die Tafel versorgt rund 6.000 Menschen. Das muss man auch in Relation setzen zur Gesamtsumme derer, die eigentlich hilfsbedürftig sind.
Das ist der Punkt für mich: Es müsste deutlich werden, dass Summen angehoben werden müssen, damit Menschen ein menschenwürdiges Leben leben können – auch der Kanzlerin, die das Problem in den letzten Jahren immer schön weggeschoben hat. Es muss ja keiner hungern. Aber es geht darum, dass die Tafel Menschen entlastet, damit diese sich mal etwas anderes leisten können und an der Gesellschaft teilhaben.
Das Interview führte Hilde Regeniter.