Nach ihrer Kritik an der Essener Tafel bemüht sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) um Ausgleich. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Mittwoch in Berlin, Merkel habe sich mit dem Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) in Verbindung gesetzt. Sie begrüße den Beschluss, dass an einem Runden Tisch über das weitere Vorgehen beraten werden soll.
Die Kanzlerin hoffe, dass gute Lösungen gefunden würden, die nicht bestimmte Gruppen ausschlössen, sagte Seibert: "Bedürftigkeit ist Bedürftigkeit. Dafür ist nicht die Staatsangehörigkeit die Richtschnur." Alles andere seien Fragen der Organisation, sagte Seibert und erinnerte daran, dass Merkel auch von dem Druck gesprochen habe, mit dem die Tafeln umgehen müssten. Die Politik könne Hilfe anbieten. Es sei aber klar, dass allein die Verantwortlichen vor Ort die Entscheidungen träfen, sagte Seibert.
Hat die Politik versagt?
"Die Bundeskanzlerin hat immer wieder gesagt, dass die Millionen von Ehrenamtlichen ein wahrer Schatz für die Bevölkerung sind", so Seibert. Merkel habe größten Respekt vor den Tafel-Mitarbeitern, die mit sehr praktischer Arbeit Hilfe leisteten. Die rund 900 Tafeln in Deutschland seien "eine bürgerschaftliche Bewegung par excellence". Die Tafeln ergänzten mit ihrem Angebot die Leistungen des Sozialstaats. Das sei eine Tradition, auf die man stolz sein könne.
Merkels Kritik an der Essener Entscheidung in einem Interview des Fernsehsenders RTL hatte für Widerspruch gesorgt. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner warf ihr in der "Bild"-Zeitung (Mittwoch) vor, wenn Helfer bedrängt würden, sollte die Politik die Tafel nicht kritisieren, sondern Hilfe anbieten. Der Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck sagte, die Freiwilligen müssten ausbaden, was die Politik versäumt habe.
Waru die Essener Tafel vorerst nur Deutsche aufnimmt
Der bundesweite Dachverband der Tafeln hatte am Dienstag nach einer Krisensitzung mitgeteilt, dass die Essener Tafel vorerst an ihrem Aufnahmestopp für Ausländer als Neukunden festhält. Ein Runder Tisch soll nach Lösungen für die Probleme bei der Lebensmittelausgabe suchen.
Der Essener Vereinsvorstand hatte den vorübergehenden Aufnahmestopp damit begründet, dass der Anteil der Migranten unter den 6.000 Menschen, die regelmäßig Lebensmittel erhalten, auf 75 Prozent gestiegen sei. Ältere Menschen und Alleinerziehende würden auf diese Weise schleichend verdrängt.
Essener Tafel ist "hilflos"
Die SPD verlangte unterdessen von der NRW-Regierung einen Lagebericht zu den Tafeln. Bei der Essener Tafel werde "eine Überforderung ehrenamtlicher Strukturen" deutlich, sagte der sozialpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Josef Neumann, am Mittwoch. Die Entscheidung, dort vorerst keine Ausländer mehr als Kunden zuzulassen, sei "nichts anderes als Hilflosigkeit". Er wehre sich dagegen, die Vorgänge bei der Tafel Essen unter den "Generalverdacht von Rassismus" zu stellen, sagte Neumann. Statt lautstarker Empörung sei vielmehr eine kommunale Unterstützung der Tafeln notwendig, um den Besucherandrang besser steuern zu können.
Offenkundig seien viele dieser Einrichtungen mit ihren ehrenamtlichen Kräften an Grenzen gestoßen, wichtige Aufgaben als Ersatz für den Staat wahrzunehmen. "Das zentrale Problem ist die wachsende Armut in Deutschland", so der Politiker. Die Armutsbekämpfung werde von der Politik bisher aber weitgehend verdrängt. Daher gehöre die Lage der Tafeln endlich auf die Tagesordnung.
Lagebericht für den Sozialausschuss nötig
Die SPD will von Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) wissen, ob es bei weiteren Tafeln in NRW "vergleichbare Probleme" gebe. Zudem soll der Minister in einem Lagebericht für den Sozialausschuss des Landtags darlegen, welchen Beitrag die Landesregierung zur Unterstützung der Tafelbewegung leistet. Ebenso gehe es um Trägerschaft und Finanzierung der Tafeln.
Der SPD-Sozialexperte erklärte, es gebe Hinweise darauf, dass viele Tafeln an Rhein und Ruhr mit der Zunahme der Flüchtlingsbewegung überlaufen seien. Daraus entstünden häufig Konflikte und Gerangel um die kostenlosen Waren. Deshalb sollten die Einrichtungen bei der Ausgabe von Kommunen und Job-Centern mit Ordnungskräften unterstützt werden.
Spahn tut sich "mit dem Zeigefinger schwer"
Der CDU-Politiker Jens Spahn hat die Essener Tafel gegen Kritik am Ausschluss von Ausländern verteidigt. Er tue sich "mit einem Zeigefinger aus Berlin jedenfalls sehr, sehr schwer" gegenüber denjenigen, die dort schwere Entscheidungen treffen müssten, sagte Spahn, der in einer möglichen großen Koalition Bundesgesundheitsminister werden soll, am Mittwoch in Berlin. Bisher gebe es den modernen Sozialstaat nur als Nationalstaat. Die Grundidee, dass getragen von Steuern und Beiträgen Menschen geholfen werde, die Hilfe brauchen, selbst wenn sie keine Beiträge zahlten, sei akzeptiert auch "durch Verbundenheit, Identität, die es in der Nation gibt".
Die Frage sei, bis zu welchem Maß es eine solche Solidargemeinschaft aushalte, dass jeder auch ohne vorherigen Beitrag "einfach durch Betreten des Staatsgebietes Teil der Solidargemeinschaft mit Ansprüchen wird", sagte Spahn. Da könne man Idealismen beschreiben "oder zur Kenntnis nehmen, dass die schon in harter Essener Realität sehr an Grenzen stoßen", sagte der CDU-Politiker.