DOMRADIO.DE: Das bundesweit erste Mordurteil gegen Raser ist aufgehoben. Der Bundesgerichtshof gab der Revision zweier Männer statt, die nach einem illegalen Autorennen vom Landgericht Berlin zu lebenslangen Haftstrafen wegen Mordes verurteilt worden waren. Aus Ihrer Sicht ein gutes Urteil?
Bruder Paulus Terwitte (Kapuzinerpater und Prozessbeobachter): Ich glaube, es ist wichtig zu sagen, dass Mord tatsächlich das beabsichtigte und gewollte Töten eines Menschen ist, was auch gezielt angestrebt wird. Das ist das schwerste Verbrechen, das man sich vorstellen kann. Diese Autofahrer haben eine sinnlose Raserei veranstaltet, bei der sie in Kauf genommen haben, dass jemand getötet werden könnte. Das ist allerdings kein Mord. Aber es ist moralisch ebenso verwerflich.
DOMRADIO.DE: Was für ein Zeichen setzt dieses Urteil jetzt?
Bruder Paulus: Das Urteil setzt zunächst einmal darauf, dass die beabsichtigte Tötung eines Menschen eine schwere Straftat ist, die auch für sich zu werten ist. Gleichzeitig zeigt das Urteil auch, dass derjenige, der den Tod von Menschen mit in Kauf nimmt, weil er sein Augenmerk auf Schnelligkeit, Raserei, Angeberei - und was auch immer für niedere Beweggründe da eine Rolle spielen - legt, nicht für Mord belangt werden kann. Ich hoffe nicht, dass das Signal davon ausgeht, dass man ruhig rasen könne, da man dafür nicht schwer verurteilt werden könne. Der Bundesgerichtshof hat ja extra gesagt, man müsse jeden Fall einzeln betrachten.
DOMRADIO.DE: So ein Urteil soll ja auch eine abschreckende Wirkung auf mögliche Nachahmer haben. Wird mit der Aufhebung des Mord-Urteils jetzt eine mögliche Abschreckung aufgeweicht?
Bruder Paulus: Das glaube ich nicht. Lange Haftstrafen haben noch keinen, der wirklich eine Straftat begehen will, davon abgehalten. Die ganze Diskussion, die wir in Deutschland hatten, was die Todesstrafe bewirken könne, ist genau davon geleitet gewesen, dass schwere Verurteilungen und schwere Strafen die Leute nicht davon abhalten, das zu tun, was sie eigentlich nicht tun sollen. Ich finde, dass in diesem Fall tatsächlich ein Signal gesetzt wird: Ein Mord bleibt ein Mord. Was sonst im Straßenverkehr passieren kann, ist schon sehr schlimm und dafür müssen die geltenden Gesetze greifen. Da ist jetzt der Gesetzgeber gefragt, noch einmal genauer hinzuschauen.
DOMRADIO.DE: Man stellt sich in solchen Fällen ja gerne einmal die Sinnfrage. Wieso brettern Menschen überhaupt mitten in der Stadt mit einem Tempo jenseits der 150 Kilometer pro Stunde über rote Ampeln? Haben Sie dafür eine Antwort?
Bruder Paulus: Ich glaube, da gibt es drei Antworten, die alle für die Gesellschaft unangenehm sind. Das Eine ist, dass es eine sinnentleerte Langeweile in manchen Menschen gibt, die sie dazu treibt, immer wieder nach einem neuen Kick zu suchen.
Dann gibt es eine ungezügelte Form von Männlichkeitswahn. Es sind Männer beteiligt gewesen. Männer, die glauben, man könne Stärke dadurch demonstrieren, dass man sich in lebensgefährliche Situationen an Orten begibt, an denen man andere auch in Gefahr bringen kann. Das ist ein großes Angebertum.
Und das Dritte ist, dass die ganze Spielkonsolen-Industrie darauf ausgelegt ist, dass es ständig um Schnelligkeit, Abschießen, Auskeilen und gefährliches Überholen geht. Die ganzen Videospiele sorgen einfach dafür, dass das ethische Gefühl dafür verloren geht, wann man einen Schritt zu weit geht. Man treibt es in der Realität dann offenbar gerne auch einmal zu weit.
Das Interview führte Verena Tröster.