Soziologe Schobin kann sich Freunde als Unterstützer in der Altenpflege vorstellen

Freunde in der Not

Für viele Deutsche, sind Freunde eine Art Ersatzfamilie, sagt der Soziologe Janosch Schobin. Er hält es für möglich, dass Freunde im Alter auch bei der Pflege unterstützen - mit Diensten, die nichts mit der körperlichen Pflege zu tun haben. 

Seniorinnen auf einer Parkbank  / © Uli Deck (dpa)
Seniorinnen auf einer Parkbank / © Uli Deck ( dpa )

DOMRADIO.DE: Bis in die Nachkriegszeit hinein, das haben Sie festgestellt, haben sich die Leute ihre Freunde so ausgesucht, dass sie ihnen mal nützlich sein könnten - als potenzielle Helfer in der Not. Dieses Freundschaftsverständnis hat sich dann aber gewandelt: Wie genau?

Janosch Schobin (Soziologe): Freunde sind heute viel stärker für - nennen wir das mal - weiche Hilfe zuständig. Wenn es einem schlecht geht, einen emotional zu unterstützen. Hilfe bei schwierigen Lebensentscheidungen, Rat geben. Das heißt jetzt nicht, dass die gar nichts Praktisches mehr machen wie beim Umzug helfen oder auf die Kinder aufpassen, aber das was man materielle Pflicht nennt, das haben Freunde heute selten, also Geld leihen, einem wieder auf die Beine helfen, wenn man ökonomisch ins Unglück gestürzt ist. So etwas gehört einfach nicht mehr zentral zu den Freundschaftspflichten. Das macht heute eher unser Sozialstaat.   

DOMRADIO.DE: Wahlverwandtschaften treten immer mehr an die Stelle von Blutsverwandtschaften, diesen Trend beobachten viele. Sehen Sie Freunde heute auch auf dem Weg zur Ersatzfamilie?

Schobin: Es gibt auf jeden Fall viele Deutsche, für die das so ist. Ich würde sagen, so etwa 10 Prozent der Deutschen haben heute freundschaftszentrierte Unterstützungsnetzwerke. Dazu müssen wir betonen, dass wir hier Freunde meinen, die keine Verwandten sind; viele sind ja auch mit Verwandten befreundet. Soziologisch gesprochen ist es heute so, dass wir unsere Freunde viel häufiger unter den Nicht-Verwandten auswählen.

DOMRADIO.DE: Im Unterschied zu Verwandtschaft ist Freundschaft freiwillig. Wie belastbar sind solche freiwilligen Bande, wenn es hart auf hart kommt - also wenn zum Beispiel einer der beiden Freunde schwer krank wird?

Schobin: Im hohen Alter steigen tendenziell auch die Erwartungen an Freunde, von ihnen in solchen schwierigen Lebenslagen Hilfe zu bekommen. Es gibt durchaus Fälle, wo das systematisch funktioniert. Ich sehe Probleme beim Thema Pflege. Da ist es nämlich häufig so, dass es den Leuten unangenehm wäre, von den Freunden gepflegt zu werden. Da ist das Problem nicht so sehr die Belastbarkeit der Beziehung, sondern ob ich tatsächlich diese Form von Unterstützung von dem Freund auch wünsche.

DOMRADIO.DE: "Freundschaft ist im öffentlichen Diskurs um die Zukunft der bundesrepublikanischen Gesellschaft zum Fluchtpunkt sozialer Hoffnungen geworden" - so formulieren Sie das auf Soziologen-Deutsch. Können Sie das mal für uns übersetzen?

Schobin: Machen wir das mal Beispiel Pflege fest: Es gibt einerseits seitens des Staates die Hoffnung, das irgendwie anders zu lösen als durch immer mehr Pflegekräfte und immer Geld im System. Dann gibt es aber auf privater Seite auch den Anspruch, nicht irgendwann in einer Institution wie einem Pflegeheim zu altern. Beide Ansprüche prallen aufeinander und es stellt sich die Frage nach einer sozialen Figur, die einem so nah ist, um solche Formen von Hilfe zu gewährleisten. Freundschaft ist, wenn man so will, eine natürliche Fiktion. Wenn ich darüber denke und zu dem Schluss "Ich will nicht ins Pflegeheim; ich will mit Leuten, die mir nah sind, mein Alter verbringen“ komme, dann komme ich schnell auf die Freunde.

DOMRADIO.DE: Sie sagen aber, eigentlich sind Freunde eher etwas für die Seele und gar nicht so konkret als Pfleger belastbar. Wie soll das dann funktionieren?

Schobin: Ich denke, wir werden Arrangements suchen müssen, die die Freunde von ganz spezifischen Pflegetätigkeiten entlasten. Dinge, womit die Leute eigentlich keine Schwierigkeiten haben: Wenn die Freunde für sie kochen oder Einkäufe machen oder sie irgendwo hinfahren. Das ist nicht so problematisch, sondern es wird dort problematisch, wo es an den Leib geht, wo jemand gewaschen werden oder ihm der Hintern abgeputzt werden muss. Da müssten also Lösungen her, wo genau an der Stelle professionelles Personal greift. Wo die Betroffenen sich vielleicht gemeinsam eine Pflegekraft für diese Dinge teilen und ansonsten befreundet sind. Das heißt natürlich, dass man Räume finden muss, wo man zusammen oder in der Nähe voneinander leben kann. Das ist ein Prozess. Wir brauchen in dieser Hinsicht neue Lebensmodelle.  

DOMRADIO.DE: Heißt das auch, dass man genau ausloten muss, wie belastbar jede einzelne Freundschaft ist?

Schobin: Das gehört dazu. Ich denke, wir müssen untereinander aushandeln, was da so drin ist. Das muss man machen.

Das Gespräch führte Heike Sicconi.


Quelle:
DR