Wundersame und absonderliche Geschichten um Hinrichtungen

Kreuzestod und Galgenwunder

Die Kar- und Ostertage rücken Leiden und Auferstehung Jesu in den Mittelpunkt. Das qualvolle Sterben am Kreuz: Nur eine Variante der Todesstrafe. Bei Hinrichtungen offenbart sich menschliche Fantasie auf makabre Weise.

Autor/in:
Joachim Heinz
Darstellung einer Szene des Kreuzwegs / © Frederic Soreau (KNA)
Darstellung einer Szene des Kreuzwegs / © Frederic Soreau ( KNA )

"Jesus aber schrie mit lauter Stimme. Dann hauchte er den Geist aus." Auch rund 2.000 Jahre nach dem Tod Jesu am Kreuz jagt die Geschichte seines Leidens einem Schauer über den Rücken. Der Gang zur Schädelstätte vor den Toren Jerusalems, das qualvolle Sterben, der Spott der Menschen: Eine beklemmende Vorstellung - gepaart mit der Erkenntnis, dass sich im Laufe der Geschichte nur wenig geändert hat.

Ob Kreuz oder Galgen, Guillotine oder elektrischer Stuhl, Rädern oder Stromstöße: Der Mensch war offenbar zu allen Zeiten erfindungsreich, wenn es darum ging, mit Rückendeckung durch die Obrigkeit Mitbürger ins Jenseits zu befördern.

Makabre Blüten

Aber auch rund um die Hinrichtung trieb die Fantasie makabre Blüten. Das belegt ein Blick in alte Chroniken. Da wurde den Delinquenten beispielsweise nach ihrem Tod Körperfett entnommen. Es galt, wie Historiker Peter Schuster in seiner "Geschichte des Tötens" über "Verbrecher, Opfer, Heilige" schreibt, als "wirksames Mittel gegen Rheuma und Hautkrankheiten". In die gleiche Kategorie fallen Essenzen aus "Schädelmoos", wozu etwa Haare und Fingernägel gerechnet wurden.

Auch den Händen Hingerichteter schrieb man magische Wirkungen zu. Diebe führten die mit Salz und Urin konservierten Extremitäten bei sich, um sozusagen wie von Zauberhand Türen zu öffnen.

Bereits in der aus dem 4. Jahrhundert stammenden Geschichte von Longinus trat dieser Aberglaube in christlichem Gewand auf. Longinus soll zu jener Gruppe anfangs noch namenloser römischer Soldaten gehört haben, die die Hinrichtung Jesu überwachten. Er war es der Legende zufolge, der dem Gekreuzigten nach dessen Tod eine Lanze in die Seite stieß. Mit dem aus dem Körper des Verstorbenen austretenden Blut bestrich er sich die Augen und kurierte auf diese Weise sein Sehleiden. Weiter heißt es: Daraufhin kehrte er um, "tat Buße über sein früheres Leben" und verkündete die christliche Botschaft.

Henker mit Anrecht auf Kleidung

Über die Soldaten weiß der Evangelist Matthäus noch etwas anderes im Zusammenhang mit dem Tod Jesu zu berichten: "Nachdem sie ihn gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider, in dem sie das Los über sie warfen." Zum Teil bis ins 20. Jahrhundert hinein besaßen die Henker ein Anrecht auf die Kleidung der zum Tode Verurteilten. Das hatte allerdings weniger mit Magie und Aberglaube als vielmehr mit der Aussicht auf materiellen Vorteil zu tun. Speziell im Mittelalter waren Wams, Hose oder Hemd heiß begehrt, weil rar gesät und entsprechend teuer.

Viele Menschen schienen wenig zimperlich, was die Herkunft der Kleidungsstücke anbelangte - auch wenn sie zum Teil noch Wochen oder Monate am Körper der unglücklichen Toten hingen und entsprechend rochen. Erst allmählich setzte ein Umdenken ein. Ein Münchner Henker reichte 1738 die eigentlich ihm zustehende Hinterlassenschaften an seine Knechte weiter - wegen des "grausamb Geschmack". Wie aber stand die Kirche zu all den Grausamkeiten, die sich mit der Todesstrafe und ihrem Vollzug verbinden? Eine Antwort liefern die Episoden rund um die "Galgenwunder".

Zeichen als Eingreifen Gottes

Dass der Galgenstrick beim Hängen riss, das Beil des Scharfrichters beim Köpfen zu stumpf war, kam immer wieder vor. Und rettete manchen Delinquenten vor dem sicher geglaubten Ende. Die Menschen im Mittelalter deuteten solche Ereignisse als Zeichen für ein Eingreifen Gottes. Schon in die Merowingerzeit, also um das 6. Jahrhundert herum, verbreiteten sich derlei Erzählungen. Doch während anfangs auch Schuldige lebend dem Schafott entstiegen, gelang dies in den Legenden ab dem 14. Jahrhundert ausschließlich unschuldig Verurteilten.

Ein Beleg für die These von Historiker Schuster, wonach das Christentum nach und nach eine Art unheiliger Allianz mit dem Staat einging. Von der Ablehnung der Todesstrafe blieb in den jüngeren Ausschmückungen der Galgenwunder jedenfalls kaum mehr etwas übrig.

Hoffnung auf Gnade blieb gleichwohl. Der Jurist Lucas de Penna forderte 1358: Sollte der Strick des Galgens reißen, hätten die Verantwortlichen zu prüfen, ob ein Materialfehler oder ein göttliches Wunder zugrunde liege. Im Zweifel sei ein Freispruch vorzuziehen.


Quelle:
KNA