Syrien zwischen Schatten und Licht

Endlich wieder Hoffnung

Erstmals seit Jahren haben die Christen in Damaskus wieder ein hoffnungsvolles Ostern gefeiert. Doch aus der ehemaligen Kampfzone Ost-Ghouta und Afrin sind über 350.000 Menschen geflohen. Ob sie je zurückkehren können?

Autor/in:
Karin Leukefeld
Zivilisten werden aus der zerstörten Region Ost-Ghouta evakuiert / © Anas Alkharboutli (dpa)
Zivilisten werden aus der zerstörten Region Ost-Ghouta evakuiert / © Anas Alkharboutli ( dpa )

Wie viele Kirchen liegen zwischen dem Thomas-Tor (Bab Touma) und dem Westtor (Bab Scharki) in der Altstadt von Damaskus? "Zwölf", meint Rania. Ihr Nachbar Joseph ist überzeugt, dass es mehr sind. Wieder und wieder zählen sich die beiden gegenseitig die Namen auf – und einigen sich schließlich auf 16. "Ohne die Kapellen", fügt Joseph hinzu. Sie sind armenisch, katholisch, chaldäisch, altsyrisch, orthodox, protestantisch, lateinisch, maronitisch; etliche weisen Mischformen auf.

Mindestens sieben Kirchen an Karfreitag

Am Abend vor Karfreitag sind alle Kirchen in der Damaszener Altstadt sind geöffnet. Messen werden gelesen; es wird gebetet und gesungen. In der Zeitoun-Kirche trägt Patriarch Joseph Absi das Kreuz durch die Gänge. Die Kirche ist so voll, dass der Gottesdienst auf einem großen Bildschirm im Kirchhof übertragen wird.

Einer alten Tradition folgend besuchen Tausende Gläubige am Abend vor Karfreitag in einem endlos scheinenden Rundgang mindestens sieben Kirchen zwischen dem Thomas- und dem Westtor. Damit wird an Begegnungen von Jesus am Vorabend seines Todes erinnert.

Auch die kleine, unter der Erde liegende Hanania Kirche wird besucht. Der Überlieferung zufolge fand hier Paulus Zuflucht vor seinen Verfolgern, nachdem er sich nach seinem "Damaskus-Erlebnis" zum Christentum bekannt hatte. Manche Gotteshäuser liegen so nah beieinander, dass die Besucher über den Kirchhof einer Kirche in den der nächsten gelangen können.

In der Familie an Jesus Leben erinnern

Viele der engen Straßen sind mit Kerzen erleuchtet. Menschen begegnen sich, stehen in kleinen Gruppen beieinander. Eltern treffen ihre Kinder, die mit Freunden unterwegs sind. Nachbarn und Freunde halten zu einem kurzen Plausch an, um dann in unterschiedliche Richtungen weiterzugehen. Die Nacht zu Karfreitag dient der Nähe der Christen untereinander, der Nähe zu Jesus in seinen letzten Stunden.

Während Ostern in Damaskus von den katholischen und orthodoxen Christen an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden gefeiert wird, haben sich im "Tal der Christen" im Küstengebirge und in Homs alle Konfessionen vor fünf Jahren (2013) auf einen gemeinsamen Termin am orthodoxen Osterfest geeinigt. Von den einst zwei Millionen Christen in Syrien hat etwa die Hälfte das Land in den vergangenen Jahren verlassen. 

Die syrische Armee und Regierung kontrolliert nun wieder Ost-Ghouta. An diesem Osterfest herrscht erstmals keine Angst mehr. Festlich gekleidet genießen Tausende die friedliche Stimmung und verweilen nach dem Gottesdienst, um den Kapellen der Jugend zu lauschen, mit Freunden und Verwandten zu plaudern, bevor sie langsam wieder nach Hause gehen.

Jobar, ein Ort in der östlichen Ghouta liegt nur wenige Kilometer vom Thomas-Tor entfernt. Eine der ältesten Synagogen des Mittleren Ostens steht hier. Seit 2012 wurde Jobar von "Faylaq al-Rahman" (der "Legion des Erbarmers") und der Nusra-Front (Al Kaida) kontrolliert. Zu Ostern sind 41.000 dieser und anderer Kämpfer mit ihren Angehörigen in den Norden Syriens (Idlib) abgezogen; die "Armee des Islam" wird ihnen folgen. Ihr Projekt eines Kalifats östlich von Damaskus ist gescheitert.

Acht Jahre Krieg hinterlässt Wunden überall

Doch obwohl der syrischen Armee in den Medien gratuliert wird und viele Menschen spürbar aufatmen, herrscht keine "Siegerstimmung". In den acht Kriegsjahren haben die meisten Syrer Hab und Gut, Gesundheit, Zukunft, Vertrauen und Angehörige verloren. Nun gilt es, sich zu versöhnen und das Schweigen der Waffen in Frieden zu verwandeln.

Müde und erschöpft kommen noch immer Bewohner durch den humanitären Korridor bei Al Wafidin, um Hilfe in Damaskus zu suchen. Manche haben Familie in der Hauptstadt und werden dort aufgenommen. Die meisten werden in Notunterkünften untergebracht und von der Regierung versorgt.

Wohin sie nun gehen wolle? Sie wisse es nicht, antwortet eine junge Frau. Sie sei mit einer Nachbarin hier in Damaskus angekommen; Kinder oder Verwandte habe sie nicht. Über ihren Mann will sie nicht sprechen. Vielleicht weil er mit den Kämpfern nach Norden zieht? "Wir sind die Leute aus der Ghouta", sagt sie leise. "Woanders können und wollen wir nicht leben."

Worte finden sie vielleicht nie

Nicht alle wollen über ihr schweres Leben in den vergangenen Jahren sprechen. Manche Frauen wenden sich ab, andere schütteln nur stumm den Kopf. Einige nur berichten von sexueller Gewalt, die ihnen oder ihren Kinder von den Kämpfern angetan wurden. "Legion des Teufels" nennen sie sie. In und um Damaskus werden die Menschen aus der Ghouta von der Regierung so gut es geht versorgt. Rund 40.000 sollen bereits in ihre Dörfer zurückgekehrt sein.

Doch im Norden Syriens ereignet sich bereits eine weitere Tragödie. Die türkische Armee hat den nordwestlichen Ort Afrin und fast alle umliegenden 360 Dörfer eingenommen, zerstört und die – überwiegend kurdische – Bevölkerung vertrieben. Bei Tel Rifaat, etwa 20 Kilometer von Afrin, lagern laut UN-Angaben mindestens 180.000 Menschen unter freiem Himmel. Ob sie je zurückkehren können? Sie wissen es nicht.


Quelle:
KNA