Rund 200 Debatten, Hunderte Stunden Diskussionen und Tausende Teilnehmer im Netz und in Gemeindehallen. Am Montag endete in Frankreich eine über dreimonatige Bioethik-Konsultation. Zur Debatte steht etwa die Öffnung der künstlichen Befruchtung für lesbische Paare oder alleinstehende Frauen, die Legalisierung von aktiver Sterbehilfe unter bestimmten Umständen oder die Frage, wie mit künstlicher Intelligenz umgegangen werden soll.
Eine so ausführliche Beteiligung der Bevölkerung an der Überarbeitung eines Gesetzes ist neu in Frankreich. Macron wollte mit den Bürgern regieren, sie miteinbeziehen, ihre Meinung hören. Er hat es nun umgesetzt. Ob Muslime oder Katholik, Rentner oder Student, Land-Ei oder Stadtbewohner - jeder konnte sich beteiligen.
Konferenzen durch die katholische Kirche
Seit Januar konnten die Franzosen auf einer Internetseite angeben, ob sie für eine Veränderung in diesen Bereichen stimmen, und Argumente austauschen. Zudem organisierte der Nationalen Ethikrat (CCNE) Informations- und Diskussionsveranstaltungen mit Experten. Die katholische Kirche in Frankreich organisierte zusätzliche Konferenzen - oft in Regionen, wo der Ethikrat nicht präsent war.
Zudem veröffentlichte die Bischofskonferenz im Februar sieben Positionen zu bioethischen Themen, etwa Organspende, Pränataldiagnostik und Biotechnologien. Der Generalvikar des Erzbistums Lille, Bruno Cazin, sagte der Zeitung "La Croix", es habe fast nur positive Reaktionen auf die von der Kirche organisierten Konferenzen gegeben. In einigen Departements sei die Kirche aktiver gewesen als der Ethikrat.
Debatte um drei Fragenkomplexe
Trotz einer Fülle der Themen drehten sich viele Debatten in den Medien um drei Fragenkomplexe: künstliche Befruchtung, aktive Sterbehilfe und Leihmutterschaft. Präsident Macron selbst ist gegen eine Veränderung der bestehenden Gesetzgebung zu Leihmutterschaft. Im Wahlkampf sagte er: "Frankreich muss an vorderster Front stehen beim gegen Kinderhandel und Sklaverei von Frauen". Darunter fielen auch Leihmütter in Entwicklungsländern.
Doch nicht überall kam die Kampagne an. Die Ärztin Anne-Sophie du Boisgueheneuc aus dem westfranzösischen Poitiers kritisierte, einige Betroffene fühlten sich noch nicht ausreichend informiert. Was nun aus den Beiträgen der Bürger wird, bleibt abzuwarten. Anfang Juni will der Nationale Ethikrat ausführlich Stellung beziehen.
Pariser Erzbischof Michel Aupetit zur Ethik
Doch dessen Präsident Jean-Francois Delfraissy stellt bereits klar: "Der Ethikrat ist nicht dazu da zu erklären, was gut und was schlecht ist." Den neuen Pariser Erzbischof Michel Aupetit, der selbst Mediziner ist, überrascht diese Aussage: "Er sagt, er kann nicht zwischen gut und schlecht unterscheiden. Für jemanden, der sich mit Ethik beschäftigt, ist das schwerwiegend."
Die Arbeit im Parlament soll im Herbst beginnen. Einige Abgeordnete schlagen die Gründung eines eigenen Ausschusses für das Thema vor. Den gab auch 2011 bei der Diskussion der sogenannten Claeys-Leonetti-Gesetze zum Lebensende. Ethische Themen haben in Frankreich schon immer zu großen Debatten geführt: sei es als 1975 durch die "Loi Veil" Abtreibung legalisiert wurde oder als 2013 die "Ehe für alle" eingeführt wurde.
"Die Vielzahl an Religionen, an verschiedenen Wurzeln, unterschiedlichen politischen Meinungen und kultureller Vielfalt machen eine Gemeinschaft der moralischen Werte inzwischen unmöglich", sagt der argentinische Jurist Daniel Borillo. An diesem Mittwoch erscheint in Frankreich sein neuestes Buch, das sich mit den Veränderungen der Familie in den vergangenen Jahrzehnten auseinandersetzt. Auch die anstehende Überarbeitung des Bioethikgesetzes könnte die Familie in Frankreich künftig maßgeblich prägen.