Vielleicht war Kardinal Gualtiero Bassetti die politische Hängepartie nach den Wahlen vom 4. März inzwischen leid. Wie viele Italiener. Zumindest wäre dies ein Motiv für seinen Ruf nach einem neuen, politischen Katholizismus in Italien. Damit meint der Vorsitzende der Bischofskonferenz nicht nur die Politiker. "Wir erinnern alle daran, dass es nicht einfach genügt, eine Regierung zu haben, um ein Land zu führen", sagte Bassetti am Dienstag in Rom.
Es sei auch "notwendig, Hoffnung wieder aufzubauen, das Land zu flicken und die Gesellschaft zu befrieden". Neben aller "unschwer zu äußernden" Kritik suchte Bassetti Mut zu machen – seinen Mitbrüdern und den Menschen im Land. Italiens Situation sei gar nicht so schlecht, wie oft beklagt werde. In tausenden Kommunen des Landes gebe es Männer und Frauen, die sich ohne viel Aufhebens und meist unentgeltlich um die Demokratie und das Gemeinwohl verdient machen.
"Desillusionierung, Arroganz und moralischer Pfusch"
In den vergangenen Jahren war die katholische Kirche in Italien relativ still geworden – auch, weil sie in sich politisch zerstritten ist. In einer politisch umgekrempelten und wenig berechenbaren, individualistischen Gesellschaft sucht Bassetti, ein Mann von Papst Franziskus, die Kirche neu zu positionieren. "Wir distanzieren uns von Desillusionierung, Arroganz und moralischem Pfusch sowie von eigenen Ängsten", so Bassetti.
Derweil suchten im knapp drei Kilometer von den versammelten Bischöfen entfernten Quirinalspalast die Gewinner der Parlamentswahlen vom 4. März, Luigi die Maio und Matteo Salvini, Staatspräsident Sergio Mattarella davon zu überzeugen, sie hätten nun einen geeigneten neuen Regierungschef gefunden: Giuseppe Conte.
Die Wörter Religion und Kirche
Diesen solle Mattarella verfassungsgemäß mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen. Wochenlang hatten di Maio, Führer der links orientierten populistischen "Fünf-Sterne-Bewegung" (M5S), und Salvini, Chef der rechtspopulitischen Lega, zunächst um ein Regierungsprogramm gerungen – in dem die Wörter Religion und Kirche gar nicht vorkommen. Dann forschten sie nach einem Kandidaten, der das Programm umsetzen soll.
In dem 53-jährigen Karrierejuristen Conte meinen sie ihn gefunden zu haben. Doch kaum war sein Name lanciert, stand er auf der Kippe.
Geschönter Lebenslauf
Seinen Lebenslauf mit Stationen an fast einem Dutzend internationaler Hochschulen habe er zumindest geschönt. In den Unterlagen der New York University, wo er nach eigenen Angaben seine juristischen Studien vervollständigte, sei sein Name nicht zu finden, erfuhr die New York Times. Das "Internationale Kulturinstitut" in Wien bietet vor allem Sprachkurse an; Conte will dort juristische Weiterbildung betrieben haben.
Conte mag mehr "bella figura" gemacht haben, als ihm nun guttut. Dennoch wollte Staatspräsident Mattarella ihn am Mittwochnachmittag mit der Bildung einer Regierung beauftragen. Viele Auguren sind skeptisch ob ihrer Haltbarkeit. Wenn man einen Vegetarier und einen Fleischesser an einen Herd stelle, gebe es auch nur Streit, unkte ein Mitglied der Fünf Sterne. Doch einen Plan B haben Di Maio und Salvini nicht. Keiner der beiden würde vom jeweils anderen als Regierungschef akzeptiert.
"Die politische Pädagogik erneuern"
Vor allem die Fünf Sterne sind als Kämpferin gegen das bisherige Establishment angetreten. Warum sie dann einen Kandidaten vorschlagen, der als anerkannter Topjurist mit Stationen in der öffentlichen Verwaltung und als Lobbyist von Unternehmen genau dieses bisherige Establishment verkörpert, fragt sich nicht nur die linksliberale Zeitung "La Repubblica". Medien berichten auch, Conte sei Schüler der katholischen Begabtenförderung "Villa Nazareth" gewesen – zu einer Zeit, als deren Direktor Pietro Parolin hieß. Der ist heute Kardinalstaatssekretär von Papst Franziskus.
Damit entstammt Conte einer jener Einrichtungen, aus denen Kardinal Bassetti nun nach engagierten Katholiken ruft. Es sei an der Zeit, "die politische Pädagogik zu erneuern", dass zum Glauben auch der Einsatz für das Gemeinwohl gehört. "Wo sind unsere Klugheit, unsere Leidenschaften? Wovor haben wir Angst?", fragte Bassetti – nicht nur die Bischöfe. Es brauche wieder politisch und gesellschaftlich aktive Katholiken, die das Land in christlichem Sinne mitgestalten.