Das Scherbensortieren nach dem Missbrauchsskandal in Chile geht in eine neue Runde. Jetzt empfängt Papst Franziskus eine Gruppe von Priestern, die auf unterschiedliche Weise in dem Gestrüpp aus autoritärem Zwang, psychologischer Gewalt und sexuellem Vergehen gefangen waren. Es sind die dritten mehrtägigen Beratungen, nachdem der Papst Anfang Mai die drei Männer zu Gast hatte, die den Skandal an die Öffentlichkeit brachten, und Mitte des Monats sämtliche Bischöfe Chiles einbestellte.
Wiederum hält sich der Vatikan mit Einzelheiten zu der Begegnung zurück. Es sollen Gespräche "in einem Klima des Vertrauens und der Vertraulichkeit" werden, hieß es. Dabei scheint klar, dass dieses Treffen erneut einen anderen Charakter haben wird als jedes der beiden vorhergehenden.
"Das freundliche Gesicht der Kirche"
Mit den Männern, die den Auftakt machten - Juan Carlos Cruz, James Hamilton und Jose Andres Murillo - verbrachte Franziskus praktisch eine Woche; die drei wohnten unter einem Dach mit dem Papst, und dieser ließ der Dynamik der Gespräche freien Lauf, ohne thematische Vorgaben, ohne zeitliche Grenzen. Sie hätten "das freundliche Gesicht der Kirche" kennengelernt, sagte Cruz, sichtlich berührt, nach den Tagen im Vatikan.
Das deckt sich nicht ganz mit der Erfahrung der Bischöfe. Sie unterzog der Papst regelrechten Exerzitien, ließ sie einen mehrseitigen Text über das rechte Amtsverständnis meditieren. In einem Brief zum Abschluss dankte er jedem Teilnehmer für die "uneingeschränkte Bereitschaft", bei notwendigen Veränderungen mitzuwirken - ein Signal, dass es auch darum ging, die Hirten wieder auf Kurs zu bringen. In der Folge boten 29 der 31 aktiven Bischöfe ihren Rücktritt an.
Mehrere Geistliche beim dritten Treffen dabei
Jetzt steht von Freitag bis Sonntag ein drittes Treffen an. Erwartet werden fünf Geistliche aus dem Umkreis des heute 87-jährigen Priesters Fernando Karadima, der einst als Lichtgestalt der Kirche galt und 2011 vom Vatikan wegen sexueller Vergehen verurteilt wurde. Begleitet werden die fünf von zwei weiteren Priestern, die Opfern rechtlichen und geistlichen Beistand leisteten, sowie zwei Laien.
Zum Ablauf ist nur bekannt, dass es am Samstagmorgen eine Messe in der Hauskapelle des Papstes und am Nachmittag eine Gruppenbegegnung sowie Einzelgespräche geben soll. Damit werde "eine erste Phase von Treffen" beendet, teilte der Vatikan mit - künftige Begegnungen ausdrücklich nicht ausgeschlossen.
Papst will Meinung zu Prävention hören
Alle Teilnehmer der neuen Runde sind irgendwie von Missbrauch betroffen, jedoch unterschiedlich: Eugenio de La Fuente, ehemaliger Vikar in Karadimas Pfarrei "El Bosque", bezeichnet sich selbst als Opfer eines "Missbrauchs des Gewissens". Auch Alejandro Vial Amunategui, heute Pfarrer im Süden Santiagos, gehörte zu der - inzwischen aufgelösten - "Frommen Vereinigung" um den dominanten Karadima. Der Priester und Kirchenrechtsprofessor Francisco Javier Astaburuaga hingegen unterstützte die Missbrauchsopfer Cruz und Hamilton in ihrem frühen Kampf um Aufklärung des erlittenen Unrechts.
Franziskus will nun bewusst Priester treffen - um den Opfern unter ihnen Solidarität zu zeigen und um ihre Meinung zur Prävention zu hören. Der Papst weiß, dass die Seelsorger an der Basis es sind, die Leid und Wut der Missbrauchsopfer wie auch den Vertrauensverlust für die Kirche am unmittelbarsten zu spüren bekommen. "Ich weiß, dass ihr manchmal in der U-Bahn oder auf der Straße beschimpft wurdet", sagte er ihnen bei seinem Besuch in Chile im Januar.
Päpstliche Sonderermittler reisen wieder nach Chile
Für die Kirche in dem Land steht außer der Glaubwürdigkeit noch mehr auf dem Spiel. In diesen Tagen werden in chilenischen Medien Stimmen laut, die etwa eine Wahrheitskommission, finanzielle Entschädigungen oder die Abschaffung rechtlicher Privilegien für katholische Institutionen fordern.
Einen Tag vor der neuen Gesprächsrunde gab der Vatikan bekannt, dass die päpstlichen Sonderermittler für den Missbrauchsskandal, Erzbischof Charles Scicluna und der Kirchenjurist Jordi Bertomeu, erneut nach Chile reisen. Zweck sei, den "Prozess der Wiedergutmachung und Heilung" für die Opfer voranzubringen. Diese erwarten jetzt auch personelle Konsequenzen.