Kölner Kaiserglocke wurde vor 100 Jahren dem Krieg geopfert

Die "Stumme von Köln"

28 Mann brachten das Ungetüm in Schwingung. Dennoch läutete die Kaiserglocke, die Vorläuferin des "decken Pitter" im Kölner Dom, nicht zur vollen Zufriedenheit – und meist nur solo.

"Der dicke Pitter" im Kölner Dom / © Andreas Kuehlken (KNA)
"Der dicke Pitter" im Kölner Dom / © Andreas Kuehlken ( KNA )

Mit 27 Tonnen war sie – und wäre sie auch heute noch – die weltweit größte frei schwingende Kirchenglocke. Doch der Kaiserglocke im Kölner Dom war nur eine kurze Lebensdauer beschieden. Einst wurden für ihren Guss Kanonen aus dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 eingeschmolzen.

Doch das wertvolle Metall durfte auf Dauer nicht friedlichen Zwecken dienen. Die Kirche musste die Glocke als Pflicht-Abgabe wieder der Waffenindustrie überlassen. Deshalb wurde die Kaiserglocke zum Ende des Ersten Weltkriegs in Stücke zerlegt. Vor 100 Jahren – am 19. Juli 1918 – endeten nach vier Monaten die Abbrucharbeiten.

Glocke aus Kanonen-Erz

Mit der Kaiserglocke verbindet sich eine Geschichte voller Pleiten, Pech und Pannen. Grund waren die technischen Schwierigkeiten aufgrund der Größe. Nach Fertigstellung des Langhauses des Domes 1862 wollte das Domkapitel dem monumentalen Baukörper eine entsprechende Bassstimme geben, die im Konzert mit den beiden Mittelalterglocken Pretiosa und Speciosa sowie der Ursula- und der Dreikönigenglocke erklingen sollte.

Der "Central-Dombau-Verein zu Cöln" ersuchte den preußischen König Wilhelm I., als "deutscher Kaiser" 500 Zentner Erz zu stiften. 1872 genehmigte dieser das Metall in Form von 22 französischen Geschützrohren nebst Bronzebruchmaterial. Den Zuschlag zum Guss der Glocke, deren Ton auf C festgelegt wurde, erhielt Andreas Hamm aus dem pfälzischen Frankenthal, den der Auftrag aber fast in den Ruin treiben sollte.

Explosion beim Glocken gießen

Denn schon der erste Guss ging schief. "Das Metall lief ganz ruhig ungefähr acht Minuten in die Form, da erfolgte eine Explosion", berichtete Meister Hamm. Wegen der Größe habe sich im Glockenkern mehr heiße Luft gesammelt und vermutlich Gase, erklärte er die Misere.

Beim zweiten Guss platzte am Schlagring der Glockenmantel, wodurch Metall abfloss und die Krone nicht ausgegossen wurde. Mit Beigießen versuchte Hamm sein Werk zu retten – doch die Sachverständigen fanden das Ergebnis wenig kaiserlich. Der Hauptton sei "sehr dumpf und unklar". Und: "Es klingen auch mancherlei unangenehme und störende Nebentöne mit."

Der dritte Guss gelang – aber nur halbwegs. Die Experten konstatierten zwar einen runden Ton, der aber das C nicht traf: "Vielmehr gibt die Glocke ein hohes Cis an, welches dem Tone D ziemlich nahe gerückt ist."

Transport per Schiff über den Rhein

Dennoch empfahl die Kommission die Glocke mit dem Hinweis, dass "ein schönerer und reinerer Glockenton bei solchen kolossalen Dimensionen vielleicht kaum zu erzielen sein dürfte".

Schließlich wurde die Glocke erst auf einem Wagen und dann per Schiff über einen Kanal und den Rhein nach Köln transportiert. Dort zog eine Winde den Klangkörper über Schienen und Rollen Richtung Dom. Erstes Probeläuten bestätigte zwar einen Zusammenklang mit den älteren Domglocken. Doch waren Nebentöne zu hören. Sie könnten aber schwinden, so die Hoffnung, wenn die Glocke erst einmal in der richtigen Höhe hinge.

Zudem machte der Klöppel Probleme. Er verharrte regungslos in der schwingenden Glocke und schlug nur nach ruckartigem Anziehen auf einer Wandseite an – ohne Nachhall. In der Folge erhielt die Glocke zwei neue Klöppel, doch die Probleme wurden nicht überwunden.

Der Klöppel "küsst" die Glocke nicht richtig

Nachdem die Kaiserglocke 1878 mit dem anderen Geläut ihren Platz in einem neuen Metall-Glockenstuhl bekommen hatte, erhob sie nur selten und dann auch nur solo ihre Stimme. Der Volksmund nannte sie deshalb "große Schweigerin" oder die "Stumme von Köln". Erst nachdem das Domkapitel 1909 eine elektrische Läutemaschine genehmigte, die den Handbetrieb von 28 Männern ersetzte, ließen sich die Probleme lösen.

Weil die Kaiserglocke keinen Altertumswert besaß, musste sie 1918 der Rüstungsindustrie geopfert werden. Als Ersatz entstand 1923 der etwas leichtere "decke Pitter" – mit 24 Tonnen aber immer noch eine gewichtige Glocke. 2011 fiel ihr 800-Kilo-Klöppel ab, woraufhin sie ein um ein Viertel leichteres Ersatz-Exemplar bekam.

Aber auch diese Glocke ist seit über einem Jahr eine Schweigerin. Der Klöppel "küsst" die Glocke nicht richtig, weil er nicht zentriert hängt. Experten wollen nun eine neue Aufhängung aus einem Drei-Tonnen-Stahlblock fräsen. Erwartete Fertigstellung: zweite Jahreshälfte 2018.

Von Andreas Otto


Quelle:
KNA