Vor 50 Jahren endete der Prager Frühling

Als ein Stück Freiheit unter Panzerketten geriet

In der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 überschritten Armeen mehrerer Warschauer-Pakt-Staaten die Grenze zur Tschechoslowakei. "Brüderliche Hilfe" gegen die "Konterrevolution" hieß das. Doch sie zerstörten Träume.

Autor/in:
Hans-Jörg Schmidt
"Prager Frühling" (dpa)
"Prager Frühling" / ( dpa )

 Die Redaktion der Prager Zeitung "Lidove noviny", die sich mit Geschichte befasst, ist winzig. Dennoch macht sie sich immer wieder mit Sonderbeilagen zu wichtigen Daten der tschechischen, mitunter auch tschechoslowakischen Geschichte verdient. Am 20. Juli begann sie mit einer einmonatigen Serie, die dem 50. Jahrestag des Endes des Prager Frühlings gewidmet ist. Mit - wie die Zeitung ankündigte - neuen Zeugenaussagen und bisher unveröffentlichtem Material.

Längst abgehaktes Thema?

Das ist deshalb so wichtig, weil der Prager Frühling zu den längst abgehakten Themen im heutigen Tschechien gehört. Schulkinder erfahren darüber so gut wie nichts. Die Erlebnisgeneration stirbt langsam weg. Viele wollen auch einfach nicht mehr darüber reden, weil sie über eine schmerzhafte Niederlage reden müssten. "Wer macht das schon gern?", sagte der 2015 verstorbene Schriftsteller Ludvik Vaculik einmal im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): "Tschechische Journalisten interessieren sich kaum noch dafür. Wären nicht die aus dem Westen, würde das Thema vermutlich noch schneller verblassen."

Vaculik hatte mitten im Prager Frühling eines der wichtigsten Dokumente verfasst, die "2.000 Worte". Damit lieferte er in mehreren Zeitungen für die breite Öffentlichkeit eine Analyse des alles beherrschenden Totalitarismus. Für Moskaus KP-Chef Leonid Breschnew war dieser Text der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. In Prag, so seine Überzeugung, sei die "Konterevolution" nur noch militärisch aufzuhalten. Bis Sommer 1968 gab er dem Führer der tschechoslowakischen KP, Alexander Dubcek, noch Zeit, selbst umzusteuern. Nach einem Treffen an der slowakisch-ukrainischen Grenze fiel dann die endgültige Entscheidung zum Einmarsch.

Kirche konnte Freiräume nutzen

Während die Bevölkerung mit bloßen Fäusten und rasch gebauten Barrikaden gegen die einrückenden Panzer vorging, wurden Dubcek und die anderen aus der Parteiführung nach Moskau deportiert. Nach ein paar Tagen knickten sie ein und unterzeichneten ein erniedrigendes Protokoll über die "zeitweise Anwesenheit" fremder Truppen auf tschechoslowakischem Territorium. "Zeitweise" war ein dehnbarer Begriff. Erst nach der Samtrevolution 1989 zogen die Russen ab. In der Periode dazwischen versank das Land in der "Normalisierung", einer bleiernen Zeit.

"Die Kirche konnte gewisse Freiräume noch eine Zeitlang nutzen", berichtete später der Prager Theologe Oto Madr in einem Interview mit der österreichischen Presseagentur Kathpress. "Es erschien eine Reihe von Büchern; öffentliche Vortragsreihen konnten veranstaltet werden, zu denen auch ausländische Theologen kamen. Erst mit Beginn der Ära des Dubcek-Nachfolgers Husak konnten die Kommunisten alles wieder zurückdrehen".

Wichtigster Wegbereiter: Kardinal Frantisek Tomasek

Madr war eine der wichtigsten Persönlichkeiten der katholischen Kirche Böhmens in der Zeit der kommunistischen Unterdrückung. Bis 1989 war er einer der führenden Organisatoren des kirchlichen Untergrunds und zählte zu den wichtigsten Beratern des damaligen tschechischen Primas, Kardinal Frantisek Tomasek. Dieser wiederum gehörte zu den maßgeblichen kirchlichen Wegbereitern des gesellschaftspolitischen Umsturzes 1989.

Die liberal-konservativen Bürgerdemokraten von Vaclav Klaus, die liberale Bürgerallianz um Petr Pithart oder andere Gruppierungen sprachen bestenfalls von einer "Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Flügeln innerhalb der Kommunistischen Partei". Diese Argumentation sollte jegliche Gedanken an einen womöglich "Dritten Weg" vergessen machen.

Auch für Dubcek gab es 1989 nicht den von ihm selbst erhofften Posten des Staatspräsidenten. Der blieb Vaclav Havel vorbehalten. Immerhin wirkte Dubcek bis zu seinem Tod nach einem Unfall noch repräsentativ als Parlamentspräsident und sorgte auf zahlreichen Auslandsreisen für die Reputation der Tschechoslowakei. In der Slowakei gilt er bis heute als Ikone. Dort kennt ihn auch jeder Schüler. In Tschechien ist das anders. Dort verorteten ihn ahnungslose Achtklässsler in einer Fernsehumfrage vor vielen Jahren schon als "erfolgreichen tschechoslowakischen Eishockey-Star aus früheren Zeiten".


Quelle:
KNA