Mit Bergexerzitien Gott näher sein

Berge als heiliger Ort

In unserem Alltag ist es schwer, sich der Hektik und dem Lärm zu entziehen, um sich ins Gebet zu vertiefen. Astrid Kunze begleitet Bergexerzitien, bei denen die Menschen allein schon durch die Gipfelhöhe Gott näher kommen.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Warum ist für Sie das Gebirge ein heiliger Ort?

Astrid Kunze (Geistliche Begleiterin für Bergexerzitien): Weil man einfach in den Bergen schon allein dadurch, dass man weiter oben ist, Gott näher ist. Man ist in einem Raum, wo nichts anderes ist als die Schöpfung. Man ist selbst Bestandteil der Schöpfung, erlebt die Stille, die Weite, die Ausgesetztheit. Man wird in einen direkten Dialog einfach hineingetrieben und nicht von diesen vielen Anforderungen, Geräuschen und dem Alltag abgelenkt. Man kommt einfach in diese Ruhe, Stille und in die Begegnung mit Gott hinein.

DOMRADIO.DE: Das Gebirge zieht viele Menschen zum Wandern an. Aber was genau sind denn Bergexerzitien?

Kunze: Exerzitien sind geistliche Übungen. Man kann das auf ganz unterschiedliche Weise tun. Man kann in ein Kloster gehen, um die Stille zu suchen, man kann in der Ruhe kontemplative Exerzitien machen, man kann Exerzitien im Alltag machen. Die Bergexerzitien, die setzen das alles in dem Naturraum der Berge um.

Wir machen das mit den Elementen der Ignatianischen Exerzitien. Das heißt, es gibt viel Ruhe, Schweigen und Impulse, über die man nachdenken kann, die man auf den Weg mitnehmen kann. Täglich finden auch Einzelgespräche statt, um auf das zu schauen, was sich da im Laufe des Weges zeigt.

DOMRADIO.DE: Und wie viele Kilometer werden zurückgelegt? Es ist ja nicht nur ruhig, sondern es wird sicherlich auch körperlich anstrengend und herausfordernd werden.

Kunze: Ja das stimmt. Wir haben unterschiedliche Formate in Bezug auf den Schwierigkeitsgrad. Wir orientieren uns an den Vorgaben, die der Alpenverein gemacht hat. Die leichten Touren sind so zwischen zehn und zwölf Kilometer lang, dauern vier bis fünf Gehstunden täglich und überwinden bis zu 900 Höhenmeter.

Die mittelschweren Touren können schon mal bis zu 20 Kilometer weit sein, zwischen acht bis zehn Stunden Gehzeit benötigen und über 1.200 bis 1.500 Höhenmeter gehen. Da muss man konditionell schon ganz gut aufgestellt sein, dass man an diesen Touren Freude hat .

DOMRADIO.DE: Das Gebirge ist ein Stück wie der eigene Lebensweg, sagen Sie. Inwieweit?

Kunze: Auf meinem eigenen Lebensweg bin ich auch mit einem täglichen "sich aufmachen" konfrontiert, mit einem täglichen Weitergehen. Auch wenn das Wetter mal schlecht ist oder die Sonne nicht scheint, bleibt mir gar nichts anderes übrig, als hinauszugehen. Ich gehe manchmal ganz steile, steinige Anstiege und weiß kaum, wie ich es bewältigen soll.

Dann geht es doch, dann kommt die Sonne wieder heraus. Ich bin dann wieder in einem grünen Bereich oder ich bin nah am Wasser, nah an meiner Quelle. Ich stehe auf dem Gipfel, manchmal kann ich hinunterschauen, stehe im Nebel, oder auch auf dem falschen Gipfel. Nach diesen tollen Lebenserfahrungen geht es wieder hinunter und der Weg geht weiter. Dabei kann man eine Metapher zu seinem eigenen Lebensweg ziehen.

DOMRADIO.DE: Muss man denn religiös sein, wenn man bei dieser Art der Exerzitien mitmachen möchte? Oder gibt es auch Menschen, die ins kalte Wasser springen, die einfach mitmachen, weil sie neugierig darauf sind, was Bergexerzitien sind?

Kunze: Ja, da gibt es sogar verhältnismäßig viele. Wir haben viele Teilnehmer, die in irgendeiner Weise auf der Suche sind. Wir sind alle per se spirituelle Menschen. Wir haben einen göttlichen Kern in uns, der sich immer mal wieder meldet. Gott beschäftigt sich auch mit uns, nicht nur wir mit ihm. Wenn dieser Ruf Gottes kommt, dann fangen die Menschen an, zu suchen und zu schauen: Was gibt es denn noch im Leben, als immer nur dem Geld nachzujagen?

Viele kommen auch aus einer Überforderungssituation heraus und sagen: So geht es nicht weiter und fragen sich, wie es denn weitergehen kann? Das sind oft Menschen, die eigentlich gar nichts mit Religion zu tun haben. Manche fragen auch erst: Wie viel wird denn bei euch gebetet? Sie haben eher Vorbehalte, ob Bergexerzitien überhaupt etwas für sie sind.

Wir haben ein sehr offenes Angebot. Es ist nicht nur ein ökumenisches Angebot, sondern es ist wirklich ein offenes Angebot, das sich mit Spiritualität allgemein beschäftigt. Jeder ist herzlich willkommen, ganz egal, ob es ein tief gläubiger Christ ist oder jemand, der eigentlich eine atheistische Grundhaltung hat. Was wichtig ist, ist einfach die Bereitschaft, sich auf etwas einzulassen, was größer ist als wir.

DOMRADIO.DE: Aber Sie nehmen als Quelle die Bibel oder das Evangelium, um Inspirationen zu geben. Eine Gruppe ist beispielsweise gerade unterwegs im Lechquellengebirge. Was haben die für ein Thema? Und wie wird das dann zum Beispiel den Menschen vermittelt, die sagen, sie haben eine atheistische Grundhaltung?

Kunze: Es ist eher ein Mix aus Bibelworten und prosaischen Texten. Das ist die Art und Weise, wie ich es mache. Andere Kollegen machen es ein bisschen anders. Mir ist diese Offenheit sehr wichtig. Die Gruppe, die jetzt im Lechquellengebirge unterwegs ist, hat das Motto "Zwischen Himmel und Meer Gott entgegengehen". Dabei geht es darum, Gott in unseren alltäglichen Situationen zu finden. Weil eine Spiritualität, die nicht auch im Alltag gelebt werden kann oder in den Alltag führt, ist auch keine gute Sache.

Beispielsweise haben wir am ersten Tag als Thema "Gott ist mein Fremdenführer": Wo kann ich seinen Ruf und seine Wege, die er mir aufzeigt, erkennen? Am zweiten Tag: Gott ist die Stille. Wenn ich in die Stille gehe, wo kann ich ihn da treffen? Was raubt mir die Stille? Am dritten Tag: Gott ist die Quelle. Wo sind meine Lebensquellen? Wo spüre ich die göttliche Quelle in mir?

Am fünften Tag: Gott ist mein Grund, der Fels, auf dem ich fest stehe. Dazu gibt es einen passenden Psalm und einen Prosatext, der den Menschen das Thema erschließt, die mit den Bibelstellen vielleicht nicht so viel anfangen können.

DOMRADIO.DE: Das Gehen an sich spielt auch eine Rolle. Das Gehen ist ja so eine monotone Bewegung, bei der man in einen gewissen Trott hineinkommt. Sie sagen, das ist auch so etwas wie Beten.

Kunze: Es gibt Religionen, für die ist das Gehen per se Gebet. "Pilgern ist Beten mit den Füßen", hat mal jemand gesagt. Indem ich in so eine ganz langsame Gehbewegung hineinkomme und das mit meinem Atem verbinde, bin ich in größtmöglicher Achtsamkeit. Ich nehme den Boden wahr, den ich berühre. Ich nehme die Umgebung wahr, wo ich unterwegs bin, den Wind, der mich vielleicht streichelt, die Sonne, die mich berührt, den Regen, das Wetter.

Ich bin einfach nur bei mir, bei meinem Atem und in der Achtsamkeit - das ist Gebet. Wenn ich nicht von äußeren Bedingungen abgelenkt bin, einfach nur in mich gehe und in die Bewegung herausfließe. Wir haben es noch nie erlebt, dass Teilnehmer sagen, sie hat es gar nicht berührt. Weil wenn sich die Füße bewegen, bewegt sich meistens auch etwas im Herzen und manchmal auch zwischen den Ohren, wenn die Gedanken sich neu sortieren.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Fastenwandern in der Gruppe (KNA)
Fastenwandern in der Gruppe / ( KNA )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema