Seehofer will Religionsdebatte anstoßen

"Nicht in Echoräumen verharren"

Bundesinnenminister Horst Seehofer will infolge der Migration nach Deutschland eine Debatte über die Rolle von Religion und ihrem Verhältnis zum Staat anstoßen. Eine grundlegende Frage brennt ihm dabei besonders unter den Nägeln.

Flüchtlinge in Deutschland / © Christoph Schmidt (dpa)
Flüchtlinge in Deutschland / © Christoph Schmidt ( dpa )

"Die Zuwanderung von Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsstaaten, mit unterschiedlicher religiöser und kultureller Prägung, hat zu erheblichen Herausforderungen geführt, die auch das Verhältnis zwischen Religion und Staat betreffen", schreibt Seehofer in einem Gastbeitrag für die Zeitung "Die Welt" (Donnerstag).

Gespräch mit allen relevanten religiösen Gemeinschaften

Er wolle die "grundlegende Frage" thematisieren: "Wie gestalten wir das Zusammenleben in einer religiös und weltanschaulich pluraler gewordenen Gesellschaft?", so der Minister. Dazu werde er mit "allen relevanten religiösen Gemeinschaften" das Gespräch suchen.

Der CSU-Vorsitzende warnte davor, das Thema Religion auf die sinkende Mitgliederzahl der christlichen Kirchen oder den Umgang mit dem Islam zu verengen. Die Religionsgemeinschaften müssten "entsprechend ihrer Größe und Zahl der von ihnen vertretenen Gläubigen von der Politik gehört werden".

Mit Blick auf die Debatten über Kopftuch, Kippa und Kreuz schreibt Seehofer, ungeachtet der "teils recht befremdlichen Töne" sei er froh, dass man sich öffentlich mit dem Thema Religion befasse und so dessen gesellschaftliche Bedeutung unterstreiche. Der weltanschaulich neutrale Staat setze den freiheitlichen Rahmen "für eine gerne auch leidenschaftliche, aber eben gewaltfreie Auseinandersetzung um eine angemessene Lösung derartiger Fragen".

Hierfür bedürfe es aber auch einer Bereitschaft der Gesellschaft, sich "auf diesen Diskurs einzulassen und nicht in den jeweiligen Echoräumen zu verharren". Deutschland sei weltanschaulich neutral, dies bedeute aber nicht laizistisch "oder gar religionslos". Und, so Seehofer: "Vor allem aber bedeutet religiös neutral nicht werteneutral."

Religionsfreiheit angesichts Achtung der Verfassung

Der CSU-Politiker betont, die Religionsfreiheit entbinde niemanden von der Achtung der Verfassung. Einzelne könnten sich nicht "unter Berufung auf ihr Gewissen leichtfertig" von der Rechtsordnung distanzieren. Zugleich hätten Religionsgemeinschaften selbstverständlich das Recht, "sich in ethischen und gesellschaftspolitischen Fragen zu äußern und sich auch entsprechend zu engagieren".

Dies gelte für alle Glaubensgemeinschaften gleichermaßen und "nicht nur für die christlichen Kirchen".

Seehofer appelliert, sich "unserer kulturellen und religiösen Wurzeln bewusst" zu werden. Man müsse diese "mit gesundem Selbstbewusstsein vertreten, zugleich aber auch mit Respekt vor den anderen religiösen und weltanschaulichen Auffassungen".

Er wünsche sich eine Besinnung auf die christliche Soziallehre, die in Politik und Öffentlichkeit kaum noch berücksichtigt werde: "Die wechselseitige Bezogenheit von Freiheit und Verantwortung für sich selbst und Verantwortung für die Mitmenschen, also Individualismus und Sozialbezug, umschreibt letztlich das christliche Menschenbild, dem auch ich mich verpflichtet fühle." 

Initiative warnt vor Verengung 

Der Moderator der Initiative kulturelle Integration und Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, würdigte den Beitrag Seehofers. Religion gehöre in den öffentlichen Raum, und es müsse darüber diskutiert werden, welche Aufgabe sie bei der Integration übernehmen könne.

Dazu sei es aber wichtig, nicht in den "christlichen Echokammern zu verharren, sondern sie zu verlassen". Im Gegensatz zu der Mitgliederzahl bei den Kirchen wachse die Anzahl der Muslime in Deutschland, diese Entwicklung müsse sich auch gesellschaftspolitisch widerspiegeln. Dazu gehöre, über Kompromisse bei der muslimischen Organisationsstruktur nachzudenken.

Die Initiative hatte im Mai 2017 in Berlin 15 Thesen zum Gelingen von Integration vorgestellt. Das Bündnis besteht aus Spitzenverbänden der Zivilgesellschaft, der Kirchen und Religionsgemeinschaften, der Sozialpartner, der Medien, dem Bund, den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden.

Mazyek begrüßt Seehofer-Vorstoß

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD), Aiman Mazyek, hat die jüngsten Äußerungen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zum Umgang mit Religion gewürdigt. Bislang hätten Religionsgemeinschaften und Kirchen etwa in der Flüchtlingsfrage entlang der Verfassung argumentiert, sagte Mazyek am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Es sei "erfrischend", dass die Politik nun auch einen solchen sachlichen Ton anschlage. Seehofers Einlassungen seien durchaus konkret, so Mazyek.

Insbesondere begrüße er den klaren Hinweis darauf, dass sich das Grundgesetz auf alle Religionsgruppen beziehe, sowie die Betonung, dass Staatsneutralität nicht Werteneutralität meine: "Denn das Grundgesetz geht von Werten aus." Kritik übte Mazyek an einer Unterteilung in Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft. "Mit dem Begriff 'Hinzugekommene' meint Seehofer in erster Linie die neu gekommenen Flüchtlinge. Das ist richtig, aber es gibt nicht nur Hinzugekommene und Urdeutsche."


Quelle:
KNA
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