KNA: Herr Prälat Jüsten, wie bewertet die Kirche den Masterplan von Horst Seehofer?
Jüsten: Einige der vorgeschlagenen Maßnahmen scheinen sinnvoll und nachvollziehbar zu sein. Insgesamt ist aber befürchten, dass eine Umsetzung des Masterplans zu einer erheblichen Verschlechterung der Situation Schutzsuchender in Deutschland führen wird.
KNA: Wo sehen Sie das besonders?
Jüsten: Alle Schutzsuchenden sollen bis zum rechtskräftigen Abschluss ihres Verfahrens – maximal 18 Monate – in zentralen "AnKER-Einrichtungen" untergebracht werden. Zugleich sieht der Plan vor, Rechtsmittelmöglichkeiten und -fristen zu verkürzen.
Aus vielen der aufgeworfenen Punkte, scheint ein generelles Misstrauen gegenüber Schutzsuchenden, Schutzbedürftigen und Schutzberechtigten zu sprechen, wie etwa die Formulierung "Bekämpfung von Asylleistungsmissbrauch" deutlich macht. Und nicht nur in diesem Fall, sind der Behauptung zugrundeliegende Zahlen vom Ministerium bisher nicht benannt worden.
KNA: Wie bewerten Sie die Grundtendenz?
Jüsten: Aus kirchlicher Sicht sind viele der vorgeschlagenen Punkte gerade mit Blick auf Humanität und Barmherzigkeit nur schwer verständlich. Der Blick auf die hinter den Zahlen stehenden Einzelschicksale scheint häufig verstellt. Ferner sollten gesetzliche Regelungen immer so ausgestaltet werden, dass auch Raum für die Lösung anders gelagerter Fälle verbleibt.
Schließlich stellt sich mir bei vielen der vorgeschlagenen Punkte die Frage, ob eine Gesetzesänderung tatsächlich erforderlich ist. Bereits in der vergangenen Regierungsperiode sind viele Verschärfungen im Asylrecht umgesetzt worden, deren Wirksamkeit noch nicht überprüft wurde und die Zuzugszahlen sind erheblich zurückgegangen.
KNA: Der Plan umfasst auch den Bereich der Entwicklungszusammenarbeit.
Jüsten: Die Vorschläge in diesem Bereich begrüßen wir als Kirche ausdrücklich. Der Aufbau von Infrastruktur und Investitionen in Bildung sowie die Schaffung dauerhafter Arbeitsplätze etwa durch die Sonderinitiative "Ausbildung und Beschäftigung" im Maghreb und anderen afrikanischen Reformpartnerländern sind ein wichtiger Schritt.
KNA: Was wären weitere?
Jüsten: Entwicklungshilfe kann langfristig nur zu besseren Bedingungen vor Ort führen, wenn neben den Regierungen auch die Zivilgesellschaft in den Blick genommen wird. Die Förderung von guter Regierungsführung, von Menschen- und hierbei insbesondere Frauenrechten ist zwingende Voraussetzung, damit Perspektiven für ein gelingendes Leben geschaffen werden können. Der Masterplan geht auf diese Aspekte leider nicht ein.
Auch die mittelfristigen Mittel für Entwicklungshilfe scheinen nicht ausreichend zu sein, um die sogenannte ODA-Quote zu erfüllen.
KNA: Was kann Entwicklungspolitik zum Kampf gegen Fluchtursachen leisten?
Jüsten: Uns als Kirche liegt besonders am Herzen, dass Entwicklungshilfe und Migrationsbeschränkung nicht miteinander verknüpft werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Entwicklungshilfe sich nicht mehr nach den Bedürfnissen der Personen vor Ort richtet. Uns muss bewusst sein, dass sich allein Migration steuern lässt – und auch diese nur in begrenztem Umfang. Fluchtbewegungen, die durch Kriege, Bürgerkriege oder Hungerkatastrophen ausgelöst werden, kann auch die beste Entwicklungszusammenarbeit nicht verhindern.
KNA: Besonders umstritten sind die sogenannten "sicheren Orte" und "Ausschiffungsplattformen" in Afrika. Wie schätzen Sie dies ein?
Jüsten: Ich habe erhebliche Bedenken, ob diese menschenrechtskonform ausgestaltet werden können und ob dort rechtsstaatliche Verfahren gewährleistet werden können. Im Übrigen sollten weder Deutschland noch die Europäische Union durch solche Pläne oder Maßnahmen den Eindruck erwecken, sie seien nicht mehr bereit, Schutzsuchende aufzunehmen.
KNA: Welche Verantwortung hat Europa für die Flüchtlinge?
Jüsten: Nahezu 90 Prozent der Schutzsuchenden weltweit finden Aufnahme in den Krisenregionen. Diese Regionen müssen eine spürbare Entlastung erfahren, um auch weiterhin zur Aufnahme und Unterbringung von Schutzsuchenden bereit zu sein.
Leider geht aus dem Plan nicht hervor, wie genau eine Entlastung und Unterstützung aussehen und umgesetzt werden könnte. Die aktuellen Resettlementzahlen scheinen mir hierfür jedenfalls viel zu gering zu sein.
Christoph Scholz