DOMRADIO.DE: Sachleistungen statt Geld für Flüchtlinge. In anderen Ländern hat man das schon versuchsweise umgesetzt, zum Beispiel in Dänemark. Welche Erfahrungen hat man dort denn damit gemacht?
Prof. Herbert Brücker (Direktor beim Berliner Institut für Integration und Migration): Man hat in Dänemark ganz generell die Leistungen für Migranten und Flüchtlinge gesenkt und auch auf Sachleistungen umgestellt. Eine jüngere Studie zeigt in diesem Zusammenhang, dass die Kriminalität gestiegen ist und dass weniger in Bildung und Ausbildung investiert worden ist. Zudem haben sich auch die Integrationschancen in den Arbeitsmarkt verschlechtert. Das heißt, wir erkaufen die Abschreckungswirkung, die damit sicherlich bezweckt ist, mit einer schlechteren Integration. Und wir bezahlen damit einen sehr, sehr hohen Preis.
DOMRADIO.DE: Wie ist das mit dem Verwaltungsaufwand? Wie hoch wäre der denn, wenn man das Ganze organisieren würde?
Brücker: Das kann ich im Detail nicht genau beantworten. Aber wir wissen von den Praktikern, dass erhebliche Kosten anfallen. Man muss alles sehr genau berechnen. Man muss Coupons für alle möglichen Dinge erstellen. Diese Coupons sind nicht nur für den Bedarf des täglichen Lebens gedacht, sondern auch für die Mobilität, die für die Integration durch die Teilnahme an Sprachkursen so wichtig ist. Das alles muss man genau berechnen und entsprechende Zuteilungen machen. Das ist kompliziert. Und was kompliziert ist, kostet Geld.
DOMRADIO.DE: Man müsste die ganze Sache auch recht individuell aufschlüsseln, also Rücksicht nehmen auf kulturelle Unterschiede, oder? Beispielsweise kann man Muslimen als Sachleistung kein Schweinefleisch geben.
Brücker: Ganz so schwierig ist es dann wieder auch nicht. Man gibt den Menschen Coupons, mit denen sie zum Beispiel im Supermarkt einkaufen können. Schwieriger ist es natürlich, wenn in einer Einrichtung die ganze Versorgung übernommen wird und dort gekocht wird. Aber diese Probleme haben wir heute auch schon.
DOMRADIO.DE: Welche Schwierigkeiten könnte es bei der Umsetzung sonst geben?
Brücker: Ein Phänomen, das wir beobachten, ist, dass diese Coupons dann wiederum verkauft werden, damit die Leute Geld bekommen. Das System wird damit ein Stück weit unterlaufen. Es ist im Prinzip ein sehr ineffizientes System. Man braucht im Prinzip mehr Geld für weniger Leistung, die die Menschen erhalten.
DOMRADIO.DE: Jetzt fragt man sich natürlich, ob Horst Seehofer diese Probleme nicht kennt oder warum kommt jetzt diese Forderung, wenn sie gar nicht so richtig sinnvoll erscheint?
Brücker: Es gibt zwei Komponenten dabei: Seehofer interessiert sich ganz offensichtlich überhaupt nicht für die Integration der Menschen, die hierherkommen. Obwohl sicherlich über die Hälfte der Menschen hierbleiben wird. Sondern er interessiert sich für den Abschreckungseffekt. Er will, dass weniger Menschen hierherkommen. Die Vorstellung ist: Je schlechter ihre Lebensbedingungen sind, je schlechter sie hier leben, umso weniger Menschen kommen hierher. Das ist ganz offensichtlich das Ziel dieser Politik.
DOMRADIO.DE: Also sagen Sie ganz konkret, dass Sachleistungen für Flüchtlinge kein guter Vorschlag sind?
Brücker: Nein, nicht unter Integrationsgesichtspunkten.
Das Interview führte Dagmar Peters.