Sozialbischof Overbeck über die Zukunft der Demokratie

"Politik ist immer möglich, wo es Kompromisse gibt"

Die Bundesregierung diskutiert über ihre Asylpolitik. Ist hier ein Kompromiss möglich? Wie sollte man Populismus begegnen und wohin steuert Europa? Antworten darauf gibt Sozialbischof Franz-Josef Overbeck.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Die Bundesregierung steckt tief in der Krise bei der Frage, wie mit Migranten an der deutschen Grenze umgegangen werden soll. Asyl – ja oder nein? Sie sagen "Demokratie braucht immer auch Kompromissbereitschaft". Ist in der verfahrenen Lage überhaupt ein Kompromiss möglich?

Franz-Josef Overbeck (Bischof im Bistum Essen, Sozialbischof der Deutschen Bischofskonferenz): Ich setze darauf, dass Politik immer möglich ist, wo es Kompromisse gibt. Und darauf, dass Kompromisse helfen, Politik möglich zu machen. Ich erwarte von allen Parteien, die Regierungsverantwortung haben, dass sie das tun. Ich hoffe, dass das auch jetzt der Fall ist, und ich glaube sogar, dass es notwendig ist. Kompromisse sind ja nicht faule Kompromisse, wie es oft gedacht wird, sondern das Erreichen des Möglichen unter den Bedingungen, dass man grundsätzlich Ziele perspektivisch bestimmen kann, in denen man einig ist.

DOMRADIO.DE: Der Publizist Andreas Püttmann sagt, der Populismus und der Drang nach rechts sind mit dem Ende der Weimarer Republik vergleichbar. Wir wissen, wo dies hinführte. Sehen Sie eine ähnliche Gefahr?

Overbeck: Das Ende der Weimarer Republik begann ja schon 1930 auf demokratische Weise, weil sich die Parteien in einer kleine Frage der Arbeitslosenunterstützung nicht einigen konnten. Was anschließend kam, hat natürlich gezeigt, dass die Gefahr groß ist. In einer solchen Lage sehe ich uns heute nicht. Aber wachsam muss man bleiben und dabei klar sagen: Demokratie hat mit Menschenwürde zu tun, mit dem Wert des Rechts und auch mit einem Sozialstaat. Und wenn ich diese Perspektiven in unserem Land anschaue, stehen wir an einer anderen Stelle als das Deutsche Reich 1930 bis 1933.

DOMRADIO.DE: Der Umgang mit den Populisten ist ein Thema, das nicht bloß die Gesellschaft und die Politik spaltet, sondern auch die Religion. Sie sind Sozialbischof der Deutschen Bischofskonferenz. Was ist Ihrer Meinung nach die beste Herangehensweise für die Kirche? Sollte man Populisten ignorieren oder auf sie zugehen - auch wenn diese teils fremdenfeindliche oder unchristliche Positionen vertreten?

Overbeck: Wichtig ist, dass es in demokratischen Prozessen Diskussionen gibt, die davon ausgehen, dass ich eine Meinung sagen kann, die vernunftbegründet und argumentativ gestützt ist. Und darauf, dass ich die andere Meinung anhöre und mich gleichzeitig ähnlich argumentativ verhalte. Das ist mit Blick auf Populismus und Strömungen, die sich dieser fremdenfeindlichen Haltung bedienen, schwierig.

Auf der anderen Seite muss man sich der Realität stellen, dass es Parteien gibt, die sich dieser Haltung befleißigen, aber immerhin von nicht wenigen gewählt werden, wie es in Deutschland der Fall ist - das aber unter demokratischen Prinzipien.

DOMRADIO.DE: Der ehemalige SPD-Politiker Guido Reil ist eine Zeit lang durch die Talkshows getourt, weil er zur AfD gewechselt war. Er sagt: Das ist eine Partei, die die Ängste der Armen und kleinen Leute wahrnimmt. Wie begegnen Sie Menschen mit solchen Ängsten in ihrem Bistum?

Overbeck: Ich glaube die Angst ist in der Tat eine der großen Herausforderungen vor denen wir stehen, weil Populismus nicht nur mit sogenannten Sachgründen zu hat - wie immer sie aussehen oder wie immer man sie bewertet - sondern auch mit Emotionen sowie der Frage nach Identität und Sicherheit. Und hierbei spielt Angst eine große Rolle. Man kann ihr am besten begegnen, indem man sich rechtsstaatlich verhält und auf einen Bürgersinn und Solidarität setzt.

Wenn ich auf das schaue, was seit dem Herbst 2015 zur Bewältigung der Flüchtlingsherausforderung bei uns im Ruhrgebiet geschehen ist, weiß ich, dass die Solidarität der Kirchen - nicht nur der katholischen, auch der evangelischen - sehr geholfen hat, diesen von Angst regierten gefährlichen Strömungen zu begegnen. So einen Bürgersinn brauchen wir und auf den setze ich. Auf den setze ich auch bei allen Parteien, die Verantwortung für das Gemeinwohl in unserem Staat übernehmen wollen und zwar auf Dauer.

DOMRADIO.DE: Populisten gewinnen mehr und mehr an Zuwachs. Die AfD ist im Bundestag stärkste Oppositionspartei. Die nächste Bundestagswahl steht in drei Jahren an. Was erwarten Sie? Was wird uns politisch gesellschaftlich erwarten, wenn wir an die Wahlurnen treten?

Overbeck: Ich glaube, wir müssen bei allen Wahlen, die vor uns liegen, wissen, dass die Motive des "Populismus" oder der "Renationalisierung" mit Ängsten verbunden sind und mit der großen Frage: Wie gelingt es angesichts von vielen Phänomenen, die mit Globalisierung und mit der Digitalisierung zu tun haben, Identität zu stiften? Und hierauf ist mit sehr viel Sachverstand auf der einen Seite zu antworten und vor allen Dingen auch mit Persönlichkeiten, die zeigen: Wir können mit Kompromissen leben lernen - auch in der Flüchtlingsherausforderung - mit Blick auf die Sicherheit unseres Landes und zugleich auch mit Blick auf die Würde der Menschen, die möglicherweise sonst keine Chance haben, ihr Leben zu retten.

Wir müssen vor allen Dingen etwas für die Menschen in den Herkunftsländern tun, die vor immensen Herausforderungen stehen - ich denke an Afrika oder den Mittleren Osten - damit in diesen Ländern auf Dauer verlässliche Politik gemacht werden kann. Ich glaube, es braucht für viele der Fragen Bündnisse, die über zwei oder drei Parteien hinausgehen. Die uns zusammen mit Bürgerinitiativen zeigen, wohin wir als Staat und als Gesellschaft wollen, um weiterhin in Sicherheit und in Frieden zu leben. Mir scheint, dass wir neu durchbuchstabieren müssen, warum Europa, warum die Demokratie im Sinne dessen, was wir jetzt 70 Jahre erleben, ein Friedensprojekt ist. Das zu unterstützen werden wir nicht müde, und ich glaube, dass wir als Kirchen eine ganze Menge dazu beitragen können.

Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.


Bischof Franz-Josef Overbeck in einem Dialog / © Kay Nietfeld (dpa)
Bischof Franz-Josef Overbeck in einem Dialog / © Kay Nietfeld ( dpa )
Quelle:
DR
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