Viel hatte ohnehin nicht gefehlt, die unterschwelligen Spannungen in der katholischen Bischofskonferenz der USA offen zu Tage treten zu lassen. Der Brandbrief des ehemaligen Nuntius in Washington, Erzbischof Carlo Maria Vigano, erweist sich nun als der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. In dem Schreiben behauptet der Diplomat, er habe Papst Franziskus bereits im Sommer 2013 gesagt, der frühere Washingtoner Kardinal Theodore E. McCarrick habe "Generationen von Seminaristen und Priestern verdorben" und sei von Papst Benedikt XVI. zu einem zurückgezogenen Leben in Buße verurteilt worden
Seitdem herrscht Aufruhr in der Kirche. Die Herausforderung besteht auf drei Ebenen: Zum einen geht es um Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal, der die Kirche mit den schweren Vorwürfen gegen McCarrick sowie dem Bericht der Grandjury in Pennsylvania erneut eingeholt hat. Die Verbindung zwischen beiden der heutige Kardinal von Washington, Donald Wuerl, der McCarrick nachfolgte und zuvor Bischof in dem Rostgürtelstaat war.
Der Kardinal als Sündenbock?
Der 77-jährige Wuerl sieht sich massiver Kritik ausgesetzt. Eine Gruppe von Lehrern aus Konfessionsschulen boykottierte am Dienstag den Gottesdienst in der "Basilika des Nationalen Schreins der unbefleckten Empfängnis" in Washington als Protest gegen "die Vertuschungen durch die Hierarchie".
Mehrere Pfarrer verlangen den Rücktritt des Kardinals, der die Vorwürfe der Untätigkeit und des Wegschauens entschieden zurückweist. Unterstützung erhält Wuerl von dem Kolumnisten des "National Catholic Reporters", Sean Winters, der den Verdacht hegt, der Kardinal solle als "Sündenbock" herhalten.
Eine Intrige gegen den Papst?
Während es im Missbrauchsskandal um Rechenschaft und Verantwortung geht, benutzen die Kritiker des Papstes die Krise, Franziskus zu schwächen. Sie erkennen in dem Skandal die Möglichkeit, ihrer fundamentale Skepsis gegen den Öffnungskurs des Papstes Nachdruck zu verleihen. Die Haltung des Kirchenoberhaupts zum Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen oder Homosexuellen ist ihnen ein Dorn im Auge. Erzbischof Vigano kann sich dabei auf den bei Franziskus in Ungnade gefallenen Kardinal Raymond Burke sowie eine Phalanx konservativer US-Bischöfe stützen.
Dass der Ex-Nuntius den "National Catholic Register" zur Publikation seines Brandbriefs nutzt, der Teil des wohlhabenden ETWN-Imperiums rechts-katholischer Medien ist, wird von Analysten als alles andere als Zufall verstanden. Die Gruppe gilt seit jeher als Platform der Franziskus-Kritiker in den USA. An der Spitze der Verteidiger des Papstes stehen die beiden von ihm ernannten Kardinäle Blase J. Cupich aus Chicago und Joseph Tobin aus Newark. "Zusammen mit Papst Franziskus sind wir zuversichtlich, dass eine Überprüfung der Behauptungen des früheren Nuntius helfen wird, der Wahrheit auf den Grund zu kommen", sagt Tobin.
Es geht um Hierarchie und Glauben
John Carr, der an der Georgetown University in Washington eine Initiative zur katholischen Soziallehre leitet, findet es bedenklich, wie "das Leiden verletzlicher Menschen genutzt wird, ideologische Agenden voranzutreiben".
Schließlich geht es um das Verhältnis zwischen der Hierarchie und den Gläubigen, das schweren Schaden genommen hat. Das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit der Bischöfe, aber auch des Klerus hat massiv gelitten. Der Protest reicht von Unterschriftenlisten über Gottesdienstboykott bis hin zur Verweigerung von Spenden.
Bitte um Audienz beim Papst
"Das ist eine andere Reaktion der Laien, als wir sie früher beobachten konnten", sagt Adrienne Alexander von der Organisation «Catholics for Action». Der Protest reichte diesmal von traditionellen Kirchgängern bis hin zu progressiven Christen. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Daniel DiNardo, hat deshalb um eine Audienz beim Heilen Vater gebeten. Öffentlich äußerte er sich skeptisch zu den nicht bewiesenen Behauptungen des Nuntius, der Papst habe von sexuellem Fehlverhalten McCarricks und geheimen Sanktionen Papst Benedikts XVI. gewusst und dies ignoriert.
Man müsse aufpassen, so DiNardo, "dass unschuldige Männer nicht durch falsche Anschuldigungen beschädigt werden und die Schuldigen weiter sündigen können, wie in der Vergangenheit".