KNA: Herr Kardinal, im Februar 2019 wird in Nigeria ein neuer Präsident gewählt, aber auch Gouverneure, Senatoren sowie Parlamentsmitglieder. Warum beherrscht die Wahl schon jetzt das politische Geschehen?
Kardinal John Onaiyekan (Erzbischof von Abuja): Noch vor einem Monat hätte niemand vorhersagen können, in welcher Situation wir uns heute befinden. Aktuell sorgen wir uns vor allem darum, ob die Nigerianer überhaupt friedlich wählen können. Es darf nicht zu einer Krise und zur Kriegsstimmung kommen. Meiner Meinung nach ist dieser ganze Lärm aktuell, auch die verstärkte Präsenz von bewaffneten Sicherheitskräften, kontraproduktiv.
KNA: Für die Vorbereitungen und Durchführung der Wahlen ist die unabhängige nationale Wahlkommission INEC zuständig. Wie schätzen Sie deren Rolle ein?
Onaiyekan: Die Kommission steht ganz klar unter der Kontrolle der Regierung. Während der Wahl ist die Regierungspartei also Wettbewerber und Machthaber. Das ist für mich ein Hauptproblem und wird sich bei der nächsten Wahl nicht ändern. Wollen wir aber gute Wahlen haben, müssen wir darüber sprechen und Regeln ändern. Wir müssen beispielsweise dafür sorgen, dass am Wahltag Nigerianer zu ihrem Wahllokal gehen und anschließend arbeiten können, wie das in jedem anderen Land geschieht. [Anmerkung: Am Wahltag gibt es eine Ausgangssperre und keinen öffentlichen Verkehr. Nigerianer dürfen nur ihr Wahllokal aufsuchen.] Die Regierung muss also viel Extra-Arbeit leisten, um zu beweisen, dass sie freie und faire Wahlen organisiert.
KNA: Warum ist die Stimmung schon jetzt so aufgeheizt?
Onaiyekan: Natürlich möchte jeder gewinnen, was in Ordnung ist. Sonst würde man nicht antreten. Problematisch ist hier jedoch, dass jeder gewinnen will, koste es, was es wolle. Das zeigt schon jetzt die Körpersprache der Regierung und der bekanntesten Herausforderer. Wenn die Regierung das so häufig sagt, heißt das, sie wird alles dafür tun und alle vorhandenen Mittel nutzen, damit die Wahl zu ihren Gunsten ausfällt. Mit den Siegesrufen schwört sie außerdem die einfache Bevölkerung auf einen Sieg ein, lange bevor überhaupt gewählt wird.
Gewinnt sie dennoch nicht, wird es leicht, von Betrug zu sprechen.
KNA: Ist das nur während Wahlzeiten ein Phänomen?
Onaiyekan: Der komplette politische Apparat ist noch schlimmer. Das hat uns in die Situation gebracht, in der wir gerade sind und die wir dringend wieder verlassen müssen. Politik ist ein Geschäft. Wer an der Macht ist, kontrolliert alles, auch die Wirtschaft. Die Frage, wie man dem Land und den Menschen dient, wird gar nicht erst gestellt. Es scheint legal geworden zu sein, riesige Summen zu veruntreuen. Wer dazu die Möglichkeit hat, lässt die Macht nicht mehr los. Wer sie noch nicht hat, will sie unbedingt haben. Das ist sehr besorgniserregend.
KNA: Aktuell verspricht die größte Oppositionspartei PDP (People's Democratic Party) allerdings den Wandel.
Onaiyekan: Beide Parteien tun so, als ob das Land ihnen gehört und man gar keine Wahl hat. Solange sie alles kontrollieren, wird es in Nigeria keinen radikalen Wandel geben, den wir so dringend brauchen.
Daran sind sie nicht interessiert. Dennoch habe ich die Hoffnung, dass es langsam dazu kommt, wenn eine neue Politikergeneration heranwächst. Im kommenden Jahr muss die Bevölkerung aber noch zwischen zwei schlechten Optionen wählen.
KNA: An den Vorwahlen für die Präsidentschaftskandidatur innerhalb der PDP werden ein gutes Dutzend Kandidaten teilnehmen. Waren einige schon bei Ihnen?
Onaiyekan: Man weiß gar nicht mehr, wer wer ist. Ich habe auch Freunde unter ihnen, die individuell betrachtet sehr nette Menschen sind. Manche kommen regelmäßig in die Messe. Das Problem ist das System. Selbst wenn man Engel aus dem Himmel bringen würde, die Nigeria unter diesen Bedingungen regieren müssten, würde sich nichts ändern.
KNA: Dabei gab es 2015, als der APC (All Progressives Congress) mit dem aktuellen Präsidenten Muhammadu Buhari die Wahlen überraschend gewann, einen Moment der Aufbruchsstimmung. Sind Sie dreieinhalb Jahre später komplett enttäuscht?
Onaiyekan: Es gab damals brillante Menschen, die sich der Opposition angeschlossen haben. Das Programm des APC war exzellent. Sicherheit, Korruptionsbekämpfung und die Stärkung der Wirtschaft hatten Priorität. Das klang sehr gut. Wir wählten Buhari damals aus diesen Gründen, obwohl viele besorgt waren. Ich sagte: Es ist schade, dass wir ihn wieder wählen müssen [Anmerkung: Buhari war von 1983 bis 1985 nach einem Staatsstreich Militärherrscher]. Und schon als er Minister ernannte, war klar: Wir werden uns nicht bewegen.
Die Sicherheitslage hat sich nicht verbessert, obwohl die Terrormiliz Boko Haram längst besiegt sein sollte. Aber Boko Haram ist überall. In Puncto Korruption sind lediglich politische Gegner ins Visier geraten. Bei einem Besuch in unserem Land hat die britische Premierministerin Theresa May jüngst darauf verwiesen, dass Nigeria weltweit die höchste Zahl an armen Menschen hat, was nicht zum Beifall klatschen einlädt. In jedem zivilisierten Land würde sich die Regierung also gar nicht erst trauen, erneut anzutreten. Aber wir sind nicht in einem zivilisierten Land.
Das Interview führte Katrin Gänsler.