Das sagte Papst Franziskus am Dienstag in der lutherischen Karlskirche von Tallinn. Auch seien sie empört über Missbrauchs- und Finanzskandale.
Gastgeber des Treffens war der Erzbischof der estnischen evangelisch-lutherischen Kirche, Andres Poder. Die Protestanten stellen gemeinsam mit den Russisch-Orthodoxen die größten Konfessionen in Estland, wo die meisten Bewohner keiner Glaubensgemeinschaft angehören. Die katholische Kirche zählt unter den 1,3 Millionen Einwohnern rund 6.500 Mitglieder; das sind 0,5 Prozent der Bevölkerung.
Franziskus sagte, allzu oft hätten sich die Kirchen in sich verschlossen und zu wenig zugehört. Ihnen wie auch "allen institutionellen Religionsgemeinschaften" falle es oft leichter zu reden, als sich anfragen und belehren zu lassen. Viele junge Menschen erwarteten inzwischen nichts mehr von der Kirche; sie sei als Gesprächspartner für ihr Leben bedeutungslos geworden.
Fehlende Authentizität der Seelsorger
Jugendliche wendeten sich auch ab, weil sie in der Kirche Kompetenz und Gespür für ihre Anliegen vermissten oder ihnen die Möglichkeit aktiver Teilhabe vorenthalten werde, sagte Franziskus. Diese Fragen wolle die im Oktober tagende Bischofssynode im Vatikan angehen. Die katholische Kirchenleitung wolle "transparent, offen, ehrlich, einladend, kommunikativ" und zugänglich sein, so der Papst.
Als Grund für den Kontaktverlust der Kirche zur Jugend nannte Franziskus auch fehlende Authentizität der Seelsorger. Junge Menschen suchten einen Begleiter, der keine Angst vor der eigenen Schwäche habe. Die Liebe Gottes sei nicht tot, sagte der Papst; "sie ruft und sendet uns; sie bittet nur, das Herz zu öffnen". Der Glaube könne nur angeboten, nicht aufgezwungen werden.
Papst trifft Bedürftige in Tallinn
Papst Franziskus ist bei seinem Besuch in Tallinn auch mit Bedürftigen zusammengetroffen, die von Mutter-Teresa-Schwestern und katholischen Sozialeinrichtungen betreut werden. Die Begegnung am Dienstag fand in Estlands Bischofskirche statt.
Der Glaube dürfe keine Angst haben, Bequemlichkeiten abzulegen und sich einzubringen, so der Papst. Es gelte, "mit ganz konkreten Gesten" die Menschen auf den Straßen einzuladen. In der Familie Gottes habe jeder Platz. Den Bedürftigen in der Peter-und-Paul-Kathedrale dankte Franziskus ausdrücklich "für die Zeit, die ihr mir geschenkt habt".
Bei dem Besuch ehrte der Papst auch den aus Rheinland-Pfalz stammenden Jesuiten und Erzbischof Eduard Profittlich (1890-1942).
Seit 1930 Pfarrer der Altstadtkirche, machte sich Profittlich um die Intensivierung der diplomatischen Beziehungen mit dem Vatikan verdient. 1936 wurde er mit dem Titel eines Apostolischen Administrators erster Bischof des neu geschaffenen Kirchenbezirks Estland. Im Zweiten Weltkrieg nahm er, statt von der Möglichkeit einer Rückkehr nach Deutschland Gebrauch zu machen, die sowjetische Haft in Kauf, wo er 1942 starb.