World Vision zur Lage in Indonesien nach dem Tsunami

Frühwarnsystem ohne Wirkung

Nach den Erdstößen und einem Tsunami in Indonesien werden Erinnerungen an die Katastrophe vor 14 Jahren wach. Zwar hätten nun die Frühwarnsysteme Alarm geschlagen, aber nicht die erreicht, die es hätte erreichen sollen, beklagt World Vision.

Zerstörung auf der indonesischen Insel Sulawesi / © Tatan Syuflana (dpa)
Zerstörung auf der indonesischen Insel Sulawesi / © Tatan Syuflana ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie haben Kontakt zu Ihren Kollegen vor Ort. Was berichten diese denn aus dem Katastrophengebiet?

Dirk Bathe (World Vision): Die Kollegen berichten von verzweifelten Situationen. Menschen graben teils mit den bloßen Händen nach Verschütteten. Das liegt daran, dass es zurzeit noch unmöglich ist, schweres Gerät in die betroffenen Gebiete zu bringen. Zum einen, weil die Infrastruktur weitgehend zerstört ist. Das heißt, Straßen sind unter- und weggespült worden. Brücken sind beschädigt. Es liegt aber auch daran, dass kaum noch Benzin vorhanden ist. Das heißt, die LKWs, die schweres Gerät dorthin bringen könnten, haben nicht genug Treibstoff.

Die Menschen sind natürlich von Stunde zu Stunde verzweifelter. Sie suchen nach Angehörigen, die noch lebend unter den Ruinen sind. Sie suchen aber auch nach Leichen, um sie bergen zu können und schaffen das einfach nicht. Der Verwesungsgeruch macht sich langsam breit. Umso mehr wächst natürlich auch die psychische Belastung der Kollegen vor Ort, aber auch der Menschen.

DOMRADIO.DE: Man kann sich von außen nur schwer vorstellen, wie die Koordination von Hilfe funktioniert, wenn die Infrastruktur zerstört ist und keine Telefonleitungen, kein Internet vorhanden sind. Wie können denn Ihre Kollegen helfen?

Bathe: Zum Teil funktionieren die Mobilfunkstationen noch. Aber wir sind auch darauf angewiesen, dass sie zumindest ein bisschen funktionieren. Denn weitgehend ist die Kommunikations-Infrastruktur zerstört. Wir haben schon Schwierigkeiten, uns untereinander abzustimmen. Es funktioniert in einem urbanen Umfeld wie etwa Städten, aber außerhalb funktioniert es nicht besonders gut.

Das heißt, die Kollegen fahren teilweise mit Eselskarren in die Gegenden, die betroffen sind. Sie schauen nach, was genau geschehen ist, was zerstört ist. Wo können wir mit unserer Expertise helfen? Mit anderen Hilfsorganisationen sprechen wir uns dann ab. Es soll keine Doppelungen geben. Aber es soll auch nicht die Situation entstehen, dass Hilfsgüter nicht geliefert werden, die dringend benötigt werden.

DOMRADIO.DE: Wo ist denn die Zerstörung besonders schlimm? Wie weit wurden denn die Wellen über die Insel gespült?

Bathe: Es gibt schon noch viele weiße Flecken, wo wir nicht sagen können, wie es den Menschen dort geht. Das sind vor allen Dingen die Gebiete nördlich, aber auch ein bisschen südlich von Palu. Die Kollegen berichten, dass sie in einer Gegend gewesen sind, in der Ortschaft Sigi, die komplett von einem Erdrutsch unter sich begraben worden ist. Wir wissen also gar nicht, wie viele Menschen zu dem Zeitpunkt vor Ort waren. Sind alle gestorben? Konnten sie sich vielleicht noch retten? Wir versuchen das jetzt gerade herauszufinden.

DOMRADIO.DE: Und was brauchen die Überleben, vor allem die Kinder, jetzt am dringendsten?

Bathe: Bei den Kindern ist es schon so, dass sie vor allen Dingen auch baby- oder kindgerechte Nahrung brauchen. Aber eben auch natürlich sauberes Trinkwasser. Wir sind schon seit vielen Jahren auf Indonesien aktiv und haben schon vorab dezentrale Lager angelegt. Jetzt versuchen wir, die Hilfsgüter von dort möglichst schnell in die betroffenen Gebiete zu bringen. Zu diesen Hilfsgütern gehören Planen, aus denen man provisorische Zelte bauen kann, aber auch so Dinge wie Kochgeschirr oder Hygieneartikel. Denn die Menschen haben teilweise alles verloren und stehen vor dem absoluten Nichts.

DOMRADIO.DE: Jetzt denkt man natürlich sofort an die Tsunami-Katastrophe vor 14 Jahren. Gibt es seitdem nicht bessere Frühwarnsysteme? Gerade für diese gefährdeten Gebiete?

Bathe: Die Frühwarnsysteme sind besser geworden. Meines Erachtens nach liegt das Problem aber darin, dass die Informationen nicht unbedingt die erreichen, die sie erreichen müssen. Wir wissen von einer Situation, dass an einem Strand in der Nähe von Palu noch ein kleines Festival stattgefunden hat. Die Menschen wurden dort nicht informiert, weil es keine Sirenen gab und weil es keine Möglichkeiten gab, die Information etwa über Handy an die Menschen zu verteilen. Daran muss gearbeitet werden.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Dirk Bathe / © worldvision
Dirk Bathe / © worldvision
Quelle:
DR