In Brasilien werden Indigene aus ihren Gebieten vertrieben, im Jemen tobt ein erbitterter Bürgerkrieg, und in Bosnien trauern immer noch zahlreiche Mütter um ihre in Srebrenica ermordeten Männer. In einer ruhigen Seitenstraße in der Göttinger Innenstadt ist von all dem nicht viel zu spüren - dennoch sind dort die weltweiten Konflikte so präsent wie an kaum einem anderen Ort in Deutschland.
Ein unscheinbarer, zweistöckiger Bau beherbergt die Zentrale einer der bundesweit größten Menschenrechtsorganisationen, der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Die Wände des ehemaligen Nebengebäudes der Universität sind mit bunten Plakaten gepflastert. Die GfbV wurde im Juni 50 Jahre alt; gefeiert wird das Ereignis an diesem Samstag.
Seit 1968 setzt sich die Organisation für die Rechte religiöser und ethnischer Minderheiten ein. An der Wiege stand die Hamburger "Aktion Biafra-Hilfe", die während des Biafra-Krieges von Tilman Zülch und Klaus Guercke gegründet wurde, um gegen den dortigen Völkermord an den Biafranern zu protestieren. Sie wollten nicht tatenlos hinnehmen, dass Nigerias Armee Waffenlieferungen aus aller Welt erhielt. Biafra hatte zuvor die Unabhängigkeit der an Erdöl reichen Region von Nigeria gefordert.
Kampagnen "wo Betroffene unsere Hilfe brauchen"
Die GfbV sucht das Gespräch mit Politikern und Konfliktparteien, organisiert Kampagnen und Aktionen. So werden Repräsentanten indigener Völker nach Deutschland eingeladen, um für sich zu sprechen. 25 hauptamtliche Mitarbeiter und mehrere Praktikanten agieren hauptsächlich von Deutschland aus; hinzu kommen rund 6.000 ehrenamtliche Mitglieder. Um in den betroffenen Gebieten den Überblick zu behalten, arbeiten die Menschenrechtler vor Ort mit Organisationen zusammen, vielfach auch mit kirchlichen Hilfswerken.
Auch politische Arbeit im Inland gehört dazu: So ging es etwa 1988 um eine Beteiligung deutscher Firmen am Aufbau der Giftgasindustrie Saddam Husseins im Irak. Die GfbV wirkte Anfang der 1980er Jahre auch darauf hin, dass die Bundesregierung den Holocaust an den Sinti und Roma anerkannte.
Der Begriff der "bedrohten Völker", der von linken Gruppen gelegentlich als rechtsnational kritisiert wird, spielt laut GfbV-Direktor Ulrich Delius für die tägliche Arbeit nur eine untergeordnete Rolle: "Wir gucken vor allem nach der menschenrechtlichen Notwendigkeit, wo Betroffene unsere Hilfe brauchen." Ob Christen im Nahen Osten oder Bewohner der Westsahara: Das Spektrum der Gruppen, für die sich die Menschenrechtler einsetzen, ist breit.
Fortschritte im Kampf für die Menschenrechte?
Eines der jüngsten Konfliktfelder liegt im Jemen. Die GfbV macht nicht nur auf das Schicksal dieser Minderheit, sondern auch auf die Ursache des Problems aufmerksam - den seit Jahren andauernden Machtkampf der schiitische Huthi-Rebellen mit der sunnitisch geprägten Zentralregierung. "Unser Engagement reicht hinein bis in die deutsche Innenpolitik, die regelmäßig Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien ermöglicht und so letztlich den Konflikt befeuert", so Delius.
Sieht er in den vergangenen 50 Jahren Fortschritte im Kampf für die Menschenrechte? "Das ist schwer zu sagen", sagt Delius. "Positiv ist, dass es immer mehr Aktive gibt, die sich für Menschenrechte einsetzen." Darüber hinaus seien viele Volksgruppen mittlerweile sehr gut organisiert. "Auch Indianer kommen heute mit Laptop und Power-Point-Präsentation zu Konferenzen."
Negativ sei dagegen, dass sich viele Konflikte seit Jahrzehnten im Kreis drehten. Nach blutigen Auseinandersetzungen, denen die Bevölkerung wie im Südsudan über mehrere Generationen ausgesetzt sei, seien die Menschen traumatisiert und vertrauten sich nicht mehr. "Wir brauchen mehr Ansätze, um solch verfahrene Situationen aufzuarbeiten."
Von Michael Althaus