Nicht nur bei europäischen Politikern, auch unter Kirchenführern sind nationale Denkweisen nach Einschätzung eines kirchlichen Europaexperten stark ausgeprägt. "Es gibt einen nationalen Reflex auch bei Bischöfen", sagte der Vize-Generalsekretär der EU-Bischofskommission COMECE, Michael Kuhn, am Freitagabend in Wien. In kircheninternen Debatten werde oft "sehr stark zunächst die nationale Sichtweise auf den Tisch gelegt, bevor es gelingt, dann doch die europäische Perspektive einzubringen", schilderte Kuhn, der auch Europareferent der Österreichischen Bischofskonferenz ist.
Ort der Kirchen sei "das vorpolitische Foyer und nicht die politische Bühne", betonte Kuhn. "Kirche macht nicht Politik, sondern sie soll Politik mit möglich machen", zitierte er aus einer Denkschrift der Kirchen. Beim "kulturellen Verstehen", dem gegenseitigen Verständnis für Traditionen oder Denkweisen von Bürgern anderer Länder, sei man in der europäischen Bevölkerung "noch nicht sehr weit", so Kuhn. "Da könnte die Kirche sehr wohl eine Rolle spielen, weil sie universale Kirche ist, und das müsste sie noch stärker ausspielen und Räume zur Begegnung schaffen."
Zuversicht für Europa aus Rom
Weiter betonte Kuhn, Papst Franziskus habe eine Zuversicht über die wichtige Rolle Europas in der Welt entwickelt und in bislang fünf großen Europareden seines Pontifikats konkrete Ermutigungen ausgesprochen: "Menschen statt Strukturen sehen, Gemeinschaft, Dialog, Inklusion, Solidarität, Friedensverheißung sein", fasste er die Anliegen des Papstes zusammen. "Das mag vielen bekannt und banal verkommen und für viele auch zu wenig sein. Trotzdem: Es sind diese Softskills, die jene Mentalitätsveränderung zustande bringen können, die wir brauchen, um Auswege aus der Krise zu finden".
Der stellvertretende Generalsekretär der COMECE äußerte sich bei einer Podiumsdiskussion zum Thema "Muss Europa neu erfunden werden? Der Beitrag der Religionen".