Die Kluft zwischen Fassade und Wirklichkeit der deutschen Rüstungspolitik: Nirgends wird sie so offenbar wie bei den Waffengeschäften mit Saudi-Arabien. Das Königreich beteiligt sich an einem blutigen Krieg im Nachbarland Jemen. Hinzu kommt, dass die Menschenrechtsbilanz nach Ansicht von Kritikern eher düster ausfällt.
Trotzdem liefern deutsche Unternehmen seit Jahren verlässlich Rüstungsgüter auf die Arabische Halbinsel - mit dem Segen der Bundesregierung. Denn die muss besonders brisante Ausfuhren im Bundessicherheitsrat genehmigen.
Ernüchternde Bilanz
Vor vier Wochen machte überraschend die Nachricht von einem Export-Stopp die Runde. Der Mord an dem saudi-arabischen Journalisten Jamal Kashoggi vermochte offenbar mehr zu bewirken als Tausende Tote im Jemen. "Der Bundesregierung musste auch schon vor dem Fall Kashoggi bekannt gewesen sein, mit wem sie es in Saudi-Arabien zu tun hat", kommentierte der katholische Vorsitzende der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung GKKE, Karl Jüsten, am Montag in Berlin.
Bei näherem Hinsehen entpuppte sich die vermeintliche Kehrtwende überdies als durchsichtiges Manöver. Der eigentliche Lieferstopp umfasst zwei Monate; bei bereits erteilten Genehmigungen will die Bundesregierung darauf "hinwirken", dass es zu keinen weiteren Ausfuhren von Deutschland nach Saudi-Arabien kommt, wie es ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums formulierte. Allein zwischen März und September des laufenden Jahres betrug der Gesamtwert der erteilten Genehmigungen für Saudi-Arabien 416 Millionen Euro, wie der jetzt vorgestellte Rüstungsexportbericht der GKKE festhält. Was davon tatsächlich vorerst beim Hersteller verbleibt und nicht ausgeführt wird, steht in den Sternen.
Jüsten spricht von einer ernüchternden Bilanz der seit Frühjahr amtierenden Bundesregierung. Es sei nicht zu erkennen, dass sie dem "Ernst der rüstungsexportpolitischen Fragen" gerecht werde.
Saudi-Arabien ist kein Einzelfall. Deutschland ist viertgrößter Waffenexporteur der Welt. Und unterhält Handelsbeziehungen zu zahlreichen Ländern außerhalb von Nato und EU, den sogenannten Drittstaaten. Von den im vergangenen Jahr erteilten Einzelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter im Wert von rund 6,2 Milliarden Euro entfielen 61 Prozent auf diese Gruppe.
Forderung nach wirksamen Rüstungsexportkontrollgesetz
Mitautor Max Mutschler vom Internationalen Konversionszentrum Bonn (BICC) rechnete bei der Präsentation des GKKE-Berichts vor, die Bundesregierung habe 2017 Rüstungsexporte an 52 Staaten genehmigt, "deren Menschenrechtssituation als schlecht eingestuft wird". In 27 Empfängerländern habe es "interne Gewaltkonflikte" gegeben, "bei 20 Empfängerländern ist die Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit in der Region gefährdet". Der evangelische GKKE-Vorsitzende Martin Dutzmann bekräftigte die Forderung nach einem wirksamen Rüstungsexportkontrollgesetz.
In ihrem Bericht hat die GKKE mögliche Bausteine dafür zusammengetragen. Ein "absolutes Verbot jeglicher Drittlandsexporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" gehört dazu - ebenso wie ein Rüstungsexportbeauftragter beim Bundestag, um die Einhaltung der Regeln für Ausfuhren einer verbesserten parlamentarischen Kontrolle zu unterziehen.
Deutsche Unternehmen, auch das macht der Report deutlich, sind unterdessen längst dabei, sich zu internationalisieren. Über Tochterfirmen oder Gemeinschaftsunternehmen im Ausland versuchen sie dem GKKE-Bericht zufolge, die deutschen Ausfuhrbestimmungen für Waffen- oder Munitionsexporte zu umgehen.
Ein Beispiel: der Düsseldorfer Automobilzulieferer und Rüstungskonzern Rheinmetall. Dieser habe in den vergangenen zwei Jahrzehnten etliche ausländische Firmen wie RWM-Italia aufgekauft, die im Bereich der Munitionsherstellung aktiv seien, heißt es in der Studie. Hinzu kämen Joint Ventures wie etwa Rheinmetall Denel Munitions (RDM) in Südafrika. RWM-Italia und RDM produzieren unter anderem Bomben. Die wurden laut GKKE tausendfach nach Saudia-Arabien oder in die Vereinigten Arabischen Emirate verkauft. Und kamen auch im Jemen-Krieg zum Einsatz.