Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) äußert sich Marianne zur aktuellen Krise und zu unterschiedlichen Auffassungen über Reformen. Das Gespräch ist natürlich - wie sollte es anders sein - rein fiktiv. Die zerbrochenen Scheiben und Illusionen 2018 sind real.
KNA: Marianne, das jüngste Szenario in Paris und Toulouse dürfte Ihnen bekannt vorkommen: brennende Barrikaden, Tränengas, Polizei mit Knüppeln und Schutzschilden. Früher trug man kurze Hosen und Jakobinermützen, heute gelbe Westen.
Marianne: Ach wissen Sie - in über 225 Jahren kenne ich meine Franzosen. Die Botschaft ist: Macht es besser für mich, aber verändert nichts an dem, was ich kenne und habe - sonst hau ich alles kurz und klein! So sind wir halt, aufbrausend.
KNA: So sind wir halt? Sie meinen: Franck Ribery als Normalfranzose?
Marianne: Naja, nicht gleich übertreiben. Aber schauen Sie: Ich bin ja selbst vorn auf den Barrikaden groß geworden.
KNA: Dann erklären Sie's: Die Franzosen fordern von Ihren Politikern immer radikales Umsteuern, ein ganz neues Land. Aber sobald die ersten Vorschläge auf dem Tisch liegen, die irgendetwas anders machen, blockieren Sie Straßen, kippen Gülle vor Türen, zünden Autos an, all das. Wascht mir den Pelz, aber macht mich nicht nass.
Marianne: Wir wollen doch natürlich keine Umwälzungen, die die Dinge schlimmer machen - sondern die uns wieder zu dem machen, was wir sein sollen: die kulturelle und wirtschaftliche Elite Europas.
KNA: Mit 35-Stunden-Woche und Rente mit 60 oder 62? Aber Madame, das waren die 70er ...
Marianne: Die 70er, die 80er ... Junger Mann, Ihnen fehlt der Blick für das große Ganze, wie mir scheint. Ich habe sie alle kommen und gehen sehen: Könige, Wohlfahrtsausschüsse, Kaiser, Generäle, Präsidenten. Ich bin die Bannerträgerin der Freiheit - da darf man sich nicht mit Geschwätz und falschen Versprechungen zufriedengeben.
KNA: Wo ziehen Sie denn die Grenze zwischen Geschwätz und echten Reformvorschlägen?
Marianne: Ihr Deutschen lasst euch ja sogar von eurer Linken brav eine Reform einschenken, die die Union rechts überholt.
KNA: Sie meinen die Agenda 2010. Wäre so etwas denn für Frankreich so furchtbar schlecht?
Marianne: Ach - lassen Sie uns von was anderem reden ...
KNA: Gut. Dann reden wir noch mal über die Präsidentschaftswahlen 2017. Ante portas stand der Front National mit Marine Le Pen. Ganz Europa zitterte schon davor - doch gewählt wurde mit einem Erdrutschsieg der junge liberale, fast unbeleckte Heilsbringer Emmanuel Macron.
Marianne: Ich hatte schon damals Zweifel, was dieser junge Bursche von der Eliteschule aus dieser historischen Chance machen würde. Er war unsere Katze im Sack. Und was hat er bislang geliefert? Gar nichts. Phänotypisch und vom Namen her war mir Marine Le Pen eigentlich etwas näher. Sie hat immer wieder betont, man müsse Frankreichs Fahne aus der Gosse holen. Das hat mir schon auch imponiert.
KNA: A propos: Wo war Marianne eigentlich zwischen 1940 und 1945: in Paris, in London oder in Vichy?
Marianne: Überall dort. Eine Marianne hat als zentrale Aufgabe, alle Franzosen unter der Fahne von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu vereinigen. Das ist mal schwerer und mal weniger schwer. Die Ereignisse, auf die Sie anspielen, haben das Land damals tief gespalten. Das war durchaus heikel. Und an einem ähnlichen Punkt stehen wir heute wieder.
KNA: Dabei sollten Macron und Merkel doch das Tandem für einen neues Durchstarten der Europäischen Union werden. Inzwischen geht Merkel Richtung Ruhestand, und Sie lassen Ihren Macron nach allen Regeln der Kunst auflaufen.
Marianne: Sie scheinen sich das ja sehr einfach vorzustellen mit den Einigkeitherstellen. Sollen doch mal andere Verantwortung übernehmen. In der EU gibt es 28 Staaten, nicht nur Frankreich und Deutschland.
KNA: Bald nur noch 27. Und die Solidarität bröckelt. Was macht denn eigentlich der Brexit mit Ihnen?
Marianne: Wollen Sie jetzt ernsthaft mit mir über England reden?
KNA: Aber ja. Was verbindet Sie zum Beispiel mit Theresa May - immerhin auch eine Femme d'Etat?
Marianne: Ich bitte Sie! Sie ist erst 62, hat unendlich weniger Erfahrung als ich. Ich sage nur: Wir haben das mit dem Brexit ja nicht angefangen. Ansonsten: Ein jeder kehr' vor seiner Tür, da hat er Dreck genug dafür.
Das Interview führte Alexander Brüggemann.