Der rote VW-Bulli ist keine fünf Minuten unterwegs, da klingelt schon das Telefon. Die Anruferin macht sich Sorgen um einen Obdachlosen im Volkspark, etwas abseits des Hamburger Stadtzentrums.
Ohne Decke oder Schlafsack liege der Mann mittleren Alters im Gebüsch. "Der wurde schon einmal gemeldet, aber wir fahren gleich noch mal hin", sagt Ronald Kelm. Er ist einer von drei ehrenamtlichen Mitarbeitern, die an diesem Abend im Kältebus auf Tour sind - ein Angebot, das erst vor knapp zwei Wochen aus der Not heraus geboren wurde.
Vier Obdachlose gestorben
Zwischen Ende Oktober und Ende November sind mindestens vier Obdachlose auf Hamburgs Straßen gestorben. Das Straßenmagazin "Hinz&Kunzt" forderte daraufhin eine Kältebus, der hilfsbedürftige Obdachlose aufsucht und sie in Notunterkünfte bringt. Ein ähnliches Mobil gibt es in Berlin oder in Düsseldorf.
Christiane Hartkopf von der Obdachlosen-Tagesstätte "Alimaus" zögerte nicht lange: Innerhalb weniger Tage organisierte die Leiterin der katholischen Einrichtung Spenden, Ehrenamtliche und einen Bulli. Am Abend des 5. Januar ging die erste dreiköpfige Besatzung auf Tour. Nun ist der Bus täglich von 19 bis 24 Uhr unterwegs. Unter einer Handynummer können Bürger Obdachlose melden, die vielleicht gefährdet sind.
An diesem Abend ist es mit rund sieben Grad zwar nicht besonders kalt, durch den Regen aber extrem ungemütlich. Auf den Straßen sind nur wenig Menschen unterwegs. Ronald Kelm (58) hat auf der Rückbank des Kältebusses Platz genommen. Vorne sitzen Michael Knuth (59) und Nico di Stefano (49). Kelm und Knuth sind bereits in der Obdachlosenarbeit aktiv. Für di Stefano ist es Neuland. Weil der frühere Taxi-Fahrer in Hamburg jeden Winkel kennt, sitzt er am Steuer.
"Wir sind kein Versorgungsfahrzeug"
Die Zahl derer, die nachts auf Hamburgs Straßen schlafen, hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Einer aktuellen Zählung zufolge sind es derzeit knapp 2.000 Menschen, darunter viele Osteuropäer. Bevor die drei Helfer in den Volkspark aufbrechen, machen sie zunächst einen Abstecher in die Innenstadt. Auch dort hatten Passanten Obdachlose gemeldet.
Tatsächlich liegt unter dem Vordach eines Geschäftshauses ein junger Bulgare - gut eingepackt in Schlafsack und Decken. "Alles gut", bestätigt der Mann. Er brauche keine Unterkunft. Der Fall ist eindeutig: Wer nicht mitfahren will, den nimmt der Kältebus auch nicht mit. Als kleine Stärkung lässt Knuth einen Becher mit heißem Tee da. Für Notfälle lagern auch Schlafsäcke, Isomatten und ein paar Kleidungsstücke im Kofferraum. "Aber wir sind kein Versorgungsfahrzeug", betont Roland Kelm. Hauptziel sei, die Menschen in die Notunterkünfte zu bringen.
Die drei sind kaum wieder im Bulli, da kommt schon der nächste Anruf - diesmal von der Bahnhofsmission. Ein Obdachloser möchte in die Notunterkunft, findet aber den Weg nicht. Er ist vor einigen Tagen schon einmal mit dem Kältebus in ein Quartier gefahren. Weil der Ostdeutsche erst seit Kurzem in Hamburg Platte macht, fehlt ihm dort die Orientierung. Als das Team ihn bei der Unterkunft abliefert, bittet es die Mitarbeiter darum, dem Mann einen Stadtplan zu geben.
Bis zu zehn Anrufe pro Nacht
Nun geht es endlich in den Volkspark. Nico di Stefano folgt der Wegbeschreibung der Anruferin - eine Herausforderung in Hamburgs größtem, teils dicht bewaldeten Park. Er stoppt an einer Schranke, wo zwei Frauen mit Hunden auf den Kältebus zukommen. Auch sie haben den Obdachlosen gesehen, angeblich unter einer Plane in einem Rhododenron-Busch. Bei dem nassen Wetter möglicherweise bereits lebensgefährlich. Doch in der Dunkelheit ist kaum etwas zu erkennen. Nach einer guten Viertelstunde geben die Mitarbeiter die Suche mit Taschenlampen auf. Er ist offenbar verschwunden.
Bereits die Erfahrungen der ersten Tage zeigten, dass ein Kältebus in Hamburg nötiger denn je sei, sagt Kelm: Schon jetzt gingen fünf bis zehn Anrufe pro Nacht ein, dabei sei es noch nicht einmal richtig kalt. Selbst Polizei und Feuerwehr meldeten Hilfsbedürftige. "Wünschenswert wäre eigentlich, dass die Stadt einen solchen Bus betreibt." Die verweist auf ihr Winternotprogramm und das bereits bestehende Hilfesystem.
Etwa ein bis zwei Straßenbewohner konnten die Helfer bislang pro Nacht in eine der beiden großen Schlafstätten des Winternotprogramms bringen. In medizinischen Notfällen rufen sie einen Krankenwagen. Ist weitere Betreuung nötig, vermitteln sie an die Sozialarbeiter.
"Was sollen wir da?"
Doch die öffentlichen Massenunterkünfte mit mehreren Hundert Betten sind nicht für jeden was. "Was sollen wir da?", fragt ein Mann, der mit Freunden im Eingangsbereich des Bahnhofs Altona liegt und ein Bier trinkt. "Hier haben wir Getränke. Hier haben wir Gesellschaft." Auch wenn aus dieser Gruppe niemand mitfährt - enttäuscht sind die Helfer nicht: "Wenn wir mit dem Kältebus nur ein einziges Leben gerettet haben, dann ist er schon ein Erfolg", sagt Roland Kelm und steigt wieder in den Bulli.
Von Michael Althaus