Warum verbringt jemand einen großen Teil seines Lebens mit der Übersetzung von alten Texten, die schon mehr als einmal in die Neuzeit übertragen wurden? "Es ist die Sprache selbst", verriet Robert B. Alter jüngst der "The New York Times", die seine Sisyphos-Arbeit dokumentierte. Genauer gesagt ist es die alte hebräische Sprache, die Alter inspirierte, noch einmal einen neuen Zugang zu den biblischen Schriften zu finden.
Heute 83 Jahre alt, begann der emeritierte Hebräisch-Spezialist sein Mammutprojekt zu einem Zeitpunkt in seinem Leben, an dem andere in den Ruhestand treten. 24 Jahre lang arbeitete er an den mehr als 3.000 Seiten. Und legte dabei fast jedes Wort auf die Goldwaage. "Man kann schon ein wenig verrückt werden", räumt Alter im Rückblick ein. Eine Übersetzung in diesem Umfang fordere ihren Tribut. Vor allem, wenn man Vers für Vers einzeln in Angriff nehme - und dabei über Begriffe stolpere, die neu gedeutet werden wollten.
Suche nach alternativen Übersetzungen
Zum Beispiel das Wort "nefesh" im Buch des Propheten Jona. In der Übersetzung der King-James-Bibel von 1611, die bis heute eine der gebräuchlichen Standardübersetzungen im englischsprachigen Raum ist, wird der Begriff mit "Seele" wiedergegeben. Alter verwendet eine andere Übersetzung, weil "nefesh" im Hebräischen viele Bedeutungen habe kann. Zum Beispiel "Atem", "Blut" oder "Hals". Weil im nächsten Vers davon die Rede ist, dass Jonas Kopf mit Seetang bedeckt sei, übersetzt er "nefesh" mit Hals.
Auch Psalm 23 hat Alter anders übersetzt. "Du salbst mein Haupt mit Öl", heißt es in der King-James-Bibel. Doch das hebräische Verb bedeute nicht "salben", widerspricht Alter. Es bedeute so viel wie "üppig machen", ein sehr "physisches Wort". Nach vielen alternativen Formulierungsversuchen entschied er sich für "Du befeuchtest meinen Kopf mit Öl."
Dokument "christlicher Voreingenommenheit"
Vieles sei auch eine Frage des Rhythmus' der Originalsprache, so Alter. Im Englischen benötige man gelegentlich drei Wörter für etwas, das im Hebräischen mit einem einzigen ausgedrückt werden könne. Alter hat sich jede Übersetzung laut vorgelesen und aufgezeichnet, bevor er sie zur Abschrift freigab. Er habe den Klang der Sätze vorher hören müssen, erklärt er.
Die "Poesie" der King-James-Bibel hat den Forscher bei seiner Arbeit nach eigenen Worten nur wenig beeinflusst - im Gegenteil. Das vor über 400 Jahren niedergeschriebene Werk von Protestanten sei ein Dokument "christlicher Voreingenommenheit". Obwohl es die maßgebliche englische Übersetzung sei, hätten sich die Autoren damals nicht allzu sehr mit der hebräischen Syntax befasst. Genau darauf hat Alter zweieinhalb Jahrzehnte besonderen Wert gelegt.
Verblasste Sprache wieder herstellen
Er habe versucht, so berichtet Alter, die "ursprünglichen Farben und Schattierungen" der Sprache wiederherzustellen, die unter der Vielzahl theologischer und historischer Lesarten verblasst seien. Die vielen englischen Versionen "wurden der literarischen Schönheit des Hebräischen einfach nicht gerecht", erklärt er den Antrieb für sein Spätwerk.
Seit 1967 Lehrstuhlinhaber an der kalifornischen Universität Berkeley, verfiel Alter schon in seiner Jugend dem Reiz der hebräischen Sprache. Aufgewachsen als Jude in der New Yorker Bronx, hatte er - anders als viele Altersgenossen - keine Berührungsängste mit dem Hebräischen. Im Gegenteil: Als junger Mann versuchte er sogar, ein hebräisches Wörterbuch auswendig zu lernen.
Aufgabe für künftige Forscher
Erst später in den 70er Jahren widmete er sich den Übersetzungen. Da hatte er seine Lehrtätigkeit schon begonnen. Bis zu seinem Opus Magnum, der großen Bibelübersetzung, die er Ende 2018 abschloss, hatte er schon rund zwei Dutzend Bücher veröffentlicht. Sein bekanntestes: "The Art of Biblical Narrative" von 1981.
Als finale Deutung der hebräischen Bibel will er seine Lesart jedoch nicht verstanden wissen. Schon jetzt, kaum dass die drei Bände in den Verkaufsregalen stehen, stellt Alter sich vor, wie zukünftige Forschergenerationen weiter um den wörtlichen Sinn des Hebräischen ringen werden. Vielleicht, sagt er, kämen sie zu dem Schluss, dass sein Englisch albern klinge und sie es besser könnten.