Moscheegründerin zur Entwicklung des Islam in Deutschland

Zunehmende Frömmigkeit und Radikalisierung

Kopftuch-Diskussionen, Gedanken um eine Moscheesteuer oder die Position der Verbände: Wohin bewegt sich der Islam in Deutschland? Seyran Ates, Mitbegründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, mit ihrer Sicht auf die Entwicklung.

Muslime in Deutschland / © Axel Heimken (dpa)
Muslime in Deutschland / © Axel Heimken ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wenn Sie sich die Diskussion über den Islam in Deutschland in den letzten Jahren angucken, was geht Ihnen da durch den Kopf?

Seyran Ates (Rechtsanwältin, Frauenrechtlerin und Mitbegründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin): Die letzten 20, 30 Jahre können wir sehen, dass eine gewisse Frömmigkeit und gleichzeitig eine gewisse Radikalisierung mit dem Islam zugenommen hat. Es hat eine extreme öffentliche Darbietung des Islam stattgefunden, die meiner Ansicht nach auch nicht nur positive, sondern auch negative Seiten hat.

Die ganzen Auseinandersetzungen in den Schulen machen mir insofern Sorge, dass unsere Kinder immer mehr gedrängt werden, sich sehr viel mehr mit der Religion als mit der Allgemeinbildung zu beschäftigen.

DOMRADIO.DE: Ich kann mir vorstellen, dass Sie ein bisschen zwischen den Stühlen sitzen. Sie sind selber gläubige Muslima und Frömmigkeit hat eigentlich auch etwas Gutes, oder?

Ates: Erst einmal zu der Bezeichnung: Ich bin Muslimin. Die Allerwenigsten sind bereit, sich tatsächlich hier in diesem Land zu integrieren, und mit denen haben wir die Konflikte. Das fängt auch mit dem Begriff Muslimin und Muslima an. Die deutsche Rechtschreibung sagt Juristin, Jüdin, Christin und dann auch Muslimin. Das wäre die richtige Bezeichnung. Aber die konservativen Verbände, geleitet von der arabischen femininen Endung, haben den Begriff Muslima gesetzt, um auch da eine Abgrenzung herzustellen.

Und so wie es mit diesem Begriff ist, ist es grundsätzlich auch in der Gesellschaft. Es gibt Bewegungen, die aus der Türkei heraus Einfluss nehmen, von den Muslimbrüdern aus Katar kommt unglaublich viel Geld, der Wahhabismus breitet sich in Europa aus. Also, es wird sehr viel Geld in eine Frömmigkeit und eine religiöse Bildung investiert, die sich gegen die Demokratie wendet. Das ist das, was mir schon seit mehr als 20 Jahren Kopfzerbrechen macht.

Meiner Ansicht nach will die Mehrheit der politischen Entscheidungsträger das nicht sehen. Die sind auf beiden Augen blind und wollen nicht sehen, dass es Menschen gibt, die die Demokratie abschaffen und die Scharia einführen wollen.

DOMRADIO.DE: Aber es muss doch auch was Positives mit sich bringen. Ihre Religion ist heute in Deutschland verbreiteter als vor 20, 30 Jahren. Ist das nicht auch irgendwie etwas Gutes?

Ates: Nein, nicht unbedingt. Wenn man sich die Konvertierten anschaut und schaut, wie verbreitet die Frömmigkeit - aus der Türkei kommend - unter Türken geworden ist und wer da das Bild bestimmt, dann ist das nicht unbedingt die friedliche Seite des Islams. Deshalb betone ich, dass es immer größere Gruppen und stärkere Mächte gibt, die unsere Demokratie abschaffen wollen.

Ich kann es nicht gut finden, wenn sich meine Religion in Anteilen, die den Dschihad im Sinne von Krieg oder die Einführung der Scharia bedeuten, vor allem gegen die Geschlechtergerechtigkeit und Homophobie einsetzt. All diese Kräfte sind mehrheitlich stark geworden - getragen von sehr konservativen und radikalen Verbänden.

DOMRADIO.DE: Es ist in den vergangenen Jahren immer mehr die Frage aufgekommen, wie man als deutsche Gesellschaft damit umgeht. Stichwort Moscheesteuer, Stichwort Staatsverträge. Die Kirchen haben zum Beispiel ihre Kirchenstaatsverträge, die die Beziehungen zu den staatlichen Organen regeln. Bräuchte es so etwas auf der anderen Seite auch für die Moscheegemeinden?

Ates: Ich habe Weihnachten von einer Art Moscheesteuer gesprochen. Dann gab es eine große Diskussion, ob nun die Islam-Verbände als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt werden sollten. Das natürlich nicht. Da würde man den Bock zum Gärtner machen.

Meiner Ansicht nach haben wir sowieso die allergrößten Probleme mit den großen Verbänden. Sie haben sich in der Deutschen Islamkonferenz nicht besonders gut zu den liberalen und den moderaten Muslimen, die den Islam zeitgemäß leben, verhalten. Sie verhalten sich jetzt in den einzelnen Beiräten der Universitäten nicht im Sinne der Pluralität des Islams.

Nichtsdestotrotz arbeitet die Politik lieber mit den Verbänden - wohlwissend, dass sie nicht wirklich die Mehrheit der Muslime vertreten. Insofern könnten wir durch so eine Art Moscheesteuer die Auslandsfinanzierungen kappen. Das sollte endlich aufhören, dass die Türkei zum Beispiel nicht mehr darüber bestimmt, welcher Islam hier gelehrt und gelebt wird. Zum anderen könnten die Muslime, die hier in Deutschland leben, in die Verantwortung genommen werden. Denn sie sind doch selbst verpflichtet, sich um ihre Religion zu kümmern.

Mit unserer Moschee haben wir das bewiesen. Seit mehr als eineinhalb Jahren finanziere ich hauptsächlich allein diese Moschee - durch Vorträge als Autorin und durch meine Arbeit als Anwältin, ohne dass irgendein Land mich da beeinflusst oder moderiert.

Herrn Seehofer kann man für viele Dinge sehr kritisieren. Aber er hat gesagt: "Der Islam für Deutschland, in Deutschland und von Deutschen." Also, der Islam sollte vor allem von denjenigen, die sich hier aus Deutschland heraus für den Islam einsetzen, geprägt werden.

DOMRADIO.DE: Wenn es um den Umgang der Kirchen mit dem Islam in Deutschland geht, was denken Sie da? Was läuft da gut, was läuft da falsch?

Ates: Ich denke, dass die Kirchen nicht gut daran getan haben, sich genauso wie die Politik hauptsächlich nur an den Verbänden zu orientieren. Auf der anderen Seite haben sie aus einer gewissen Angst, in die rechte Ecke gestellt zu werden oder als islamfeindlich zu gelten, gehandelt. Vielleicht besteht die Angst darin, wenn man jetzt an den Islam rangeht und die Muslime in ihrer Religionsausübung beschränkt, könnte das auf die Kirchen zurückfallen. Dann könnte plötzlich infrage gestellt werden, warum es überhaupt ein Staatskirchenrecht gibt, warum sie Körperschaften des öffentlichen Rechts sind und "so viel Geld vom Staat" bekommen.

Aber meiner Ansicht nach müsste doch jeder Theologe, jede Autorität aus der Kirche realisieren, dass die Historie in Deutschland klar ist und dass das Staatskirchenrecht eine Konstruktion ist, die zum Christentum passt. Man kann nicht sagen, dass das Christentum und der Islam so identisch sind, dass man das Staatskirchenrecht und diese Konstruktion auf den Islam übertragen kann. Insofern könnten die Kirchen viel selbstbewusster sein.

Es ist auch falsch, dass Kirchenleute in der Diskussion um das Kopftuch zulassen, dass das Kreuz oder die Kippa mit dem Kopftuch verglichen werden, während die Kreuze in Räumen, Klassenzimmern oder Gerichtssälen abgehängt werden. Während sich Linke und Grüne dafür stark machen, diese Kreuze abzuhängen, kämpfen sie teilweise für das Kopftuch. In dieser absurden Diskussion und Debatte könnte die Kirche durchaus eine etwas exponiertere Rolle einnehmen und sagen: "Hier geht etwas schief."

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Information: Über das Thema Versöhnung der Religionen spricht Seyran Ates am 10. Februar um 14 Uhr beim "Impulstag Versöhnung" in der Gemeinde St. Elisabeth in Bochum-Gerthe.


Seyran Ates / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
Seyran Ates / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )
Quelle:
DR