Film "Green Book" über Rassismus gewinnt Oscar

Ein beklemmendes Thema

1962 chauffiert ein italienischstämmiger Prolet einen gebildeten schwarzen Pianisten durch die US-Südstaaten. "Green Book" über Rassismus und Diskriminierung ist jetzt als bester Film bei den Oscars geehrt worden.

Autor/in:
Katharina Zeckau
Tony "The Lip" Vallelonga (Viggo Mortensen, l) und Don Shirley (Mahershala Ali) im Film "Green Book" / © Patti Perret/Universal Pictures (dpa)
Tony "The Lip" Vallelonga (Viggo Mortensen, l) und Don Shirley (Mahershala Ali) im Film "Green Book" / © Patti Perret/Universal Pictures ( dpa )

Einmal wirft Don Shirley mit großer Geste einen abgenagten Hühnerknochen aus dem Fenster des fahrenden Autos. Er macht dies mit einer so spürbaren Freiheit und Freude, dass es wahrlich herzerweichend ist; zum ersten Mal in seinem Leben hat der kultivierte, stets beherrschte Ausnahmepianist so etwas Bodenständiges, in seinen Augen völlig Ungehobeltes, getan. Es ist, als öffne sich ihm eine neue Welt - oder zumindest ein neuer Blick auf die Welt.

Oscar als bester Film

Die Tür zu dieser Welt hat sein Fahrer Tony Lip aufgestoßen. Der italienischstämmige New Yorker ist das pure Gegenteil des belesenen, eleganten, aber auch einsamen und ziemlich verkrampften Shirley. Tony ist ungebildet, hat keine Manieren, spricht Slang und isst unfassbare Mengen fettigen Zeugs.

Aus dem krassen Gegensatz zwischen diesen von Mahershala Ali und Viggo Mortensen traumhaft gespielten Charakteren schlägt Peter Farrellys Film "Green Book - Eine besondere Freundschaft" einen Großteil seiner wunderbaren Komik. In der Nacht zum Montag gewann das Werk den Oscar als bester Film. Ali holte sich die Auszeichnung zudem als bester Nebendarsteller, auch das beste Original-Drehbuch zu dem Film wurde geehrt.

Eigentlich arbeitet Tony als Türsteher eines Nachtclubs, wo er als Mann fürs Grobe bekannt ist. Doch da das Etablissement vorübergehend schließt, braucht der mehrfache Familienvater einen Job. Und Shirley braucht jemanden, der ihn während seiner Konzerttournee durch die US-amerikanischen Südstaaten kutschiert - und beschützt. Denn Shirley ist schwarz, und man schreibt das Jahr 1962.

Tony, Shirley und die Freundschaft, die die beiden nach langem Anlauf bis zu ihrem Lebensende verband, hat es tatsächlich gegeben. Ebenso wie das "Negro Motorist Green Book", einen Reiseführer für schwarze Reisende, auf den sich der Titel bezieht. Darin waren die Restaurants und Hotels im Süden des Landes aufgelistet, die auch schwarze Gäste bedienten. An ihm müssen sich der weiße Chauffeur und der schwarze Klavierspieler auf ihrer mehrwöchigen Reise durch Kentucky, Tennessee oder Mississippi orientieren.

Demütigende Diskriminierungen

Gerade inmitten seiner "Gastgeber" erfährt Shirley die demütigendsten Diskriminierungen. Er darf seine grandiose Klavierkunst als Pianist zwar vor seinem scheinbar liberalen und kultivierten weißen Publikum präsentieren, das ihn auch eifrig beklatscht. Doch jenseits der Bühne ist es ausgeschlossen, dass Shirley in der Konzertpause dieselbe Toilette wie die Weißen benutzt.

Deshalb muss ihn Tony zum 20 Minuten entfernten Motel fahren. Aller Schmach zum Trotz muss Shirley auch wieder zurück und lächelnd den zweiten Teil des Auftritts absolvieren. Ein anderer Musiker erklärt die für Tony völlig unverständliche Selbstbeherrschung einmal so: "Es gehört Mut dazu, die Herzen der Menschen zu ändern." Trotzdem wird der "Doc", wie Tony den studierten Shirley nennt, in einer ähnlichen Situation einen Befreiungsschlag wagen und sich verweigern. Was nicht zuletzt dem Einfluss seines Chauffeurs geschuldet ist.

"Green Book" ist allerdings eine Entwicklungsgeschichte, die in beide Richtungen zielt. Denn auch Tony wird "erzogen". Er lernt nicht nur, die Welt mit den Augen eines Diskriminierten zu sehen. Der Pianist verfeinert auch seine Manieren und Sprache, wunderbar veranschaulicht, wenn Shirley romantische Briefe für Tonys Frau Dolores formuliert. Doch der Film überstrapaziert die Veränderungen auch nicht. Das witzig-kluge Drehbuch wahrt die Glaubwürdigkeit der liebevoll gezeichneten Charaktere, die bei allen Schwächen nie denunziert werden.

"Green Book" ist als Feel-Good-Movie angelegt, das sein knallhartes Sujet in jedem Moment ernst nimmt. Dass der recht konventionell inszenierte Film die Themen Rassismus und Diskriminierung in die herzerwärmende Story einer Freundschaft zwischen zwei gegensätzlichen Männern packt, ist ein kluger Schachzug seiner Macher, zu denen neben Peter Farrelly auch Nick Vallelonga, der Sohn des echten Tony Lip, gehört.


Quelle:
KNA