Am Aschermittwoch muss Sarah Lierz erstmal ihre Stimme schonen. Das liegt nicht daran, dass sie während des Karnevalsumzuges zu laut mitgesungen hätte. Vielmehr hat sie unermüdlich geredet. Ihre Zuhörer: Etwas über ein Dutzend Menschen, die gleich an der Strecke stehen und über Kopfhörer mit der fröhlichen blonden Frau verbunden sind. Ihnen beschreibt Sarah Lierz, wer gerade an ihnen vorbeizieht, wie die Wagen und die Kostüme aussehen. Denn Lierzs Zuhörer sind blind. Auf einem Ohr hören sie ihr zu, das andere bleibt frei, weil sie den Zug selbst noch hören möchten.
Wenn zwischen Weiberfastnacht und Veilchendienstag im Rheinland wieder voller Enthusiasmus "alaaf" oder "helau" gerufen wird, dann feiern Tausende Menschen den Straßenkarneval. Mittendrin sind auch Jecken, die nicht laufen, nichts sehen oder hören können. Doch das hindert sie nicht daran mitzufeiern. Möglich machen das verschiedene Projekte des Landschaftsverbands Rheinland (LVR).
Inklusiv feiern mit "Karneval für alle"
Sarah Lierz ist eine von vielen Engagierten, die in der Aktion "Karneval für alle" dafür sorgt, dass inklusiv gefeiert werden kann. Seit vier Jahren bringt sie in ihrer Heimatstadt Mönchengladbach den Umzug Blinden näher. Im vergangenen Jahr moderierte sie als Blindenreporterin den Kölner Rosenmontagszug. "Ich bin immer mittendrin", so Lierz.
Übung hat sie darin seit Jahren: Ihr Stiefvater ist blind. "Ich bin quasi damit aufgewachsen, einem anderen Menschen die Umwelt zu beschreiben", erzählt sie. Sie hat auch mehrere Fortbildungen besucht und beherrscht heute Audiobeschreibungen von Filmen oder bei Live-Veranstaltungen. Besonders am Herzen liegt ihr dabei die närrische Zeit: "Karneval ist eine besondere Zeit, und da ist auch eine besondere Audiodeskription gefragt" sagt sie.
"Wir suchen uns Leuchtturmprojekte"
Doch nicht nur blinde Menschen haben Spaß am Karneval. Ellen Petry vom LVR hat den Überblick über das "Karneval-für-alle"-Projekt. Da gibt es Gebärdendolmetscher, die Sitzungen oder die Sessionseröffnung auch für taube Menschen erlebbar machen. Von speziellen Bühnen an den Karnevalszügen erhalten Menschen im Rollstuhl einen guten Blick auf die bunten Wagen. "Wir können nicht den ganzen Karneval inklusiv gestalten, aber wir suchen uns Leuchtturmprojekte", sagt Petry.
Bereits 2013 hatte es erste Gespräche des LVR mit dem Festkomitee Kölner Karneval gegeben; seitdem gibt es einen Rollstuhlfahrer-Podest und einen Gebärdendolmetscher für das närrische Treiben an Weiberfastnacht. Doch daraus wurde mehr. Im April des darauf folgenden Jahres verstarb Frank Hoßbach, ein an Lateralsklerose (ALS) erkrankter Jeck. Er hinterließ eine Geldspende, die für den inklusiven Karneval genutzt werden sollte. Damit finanzieren Karnevals-Komitee und LVR eine rollstuhlgerechte Tribüne für den Rosenmontagszug.
"Unterstützung ist gesellschaftlicher Konsens"
Seit 2015 gibt es ein eigenes Logo. Es erinnert an den Piratenhut, den Frank Hoßbach immer trug. Der Künstler Rollo Jochmann, der auch das Mottologo des Kölner Karnevals entwirft, hat dem LVR das Logo geschenkt. Er ist einer von vielen Förderern des inklusiven Karnevals. "Es ist gesellschaftlicher Konsens, uns zu unterstützen", so Petry mit Blick auf das wachsende Karnevalsangebot für Behinderte in Köln und im Rheinland. Dorthin kommen viele Gehandicapte nicht nur aus Nordrhein-Westfalen, sondern auch aus Berlin, München und sogar aus China.
Für sie und alle anderen Gäste sind Sarah Lierz und das Team des LVR während der Karnevalstage da. Lierz steht ihren Zuhörern ohnehin nahe, hilft mit den technischen Fragen zu den Übertragungsgeräten und freut sich, die Reaktionen gleich mitzubekommen. "Das ist eine Sache, die die Live-Audiodeskription im Karneval von jeder anderen unterscheidet: Die Stimmung mitzunehmen und die Stimmung auch wiederzugeben. Das ist sehr wichtig."