In einer am Montag auf dem Internetportal "feinschwarz.net" veröffentlichten Stellungnahme wandten sich die beiden Professoren Christof Breitsameter (München) und Stephan Goertz (Mainz) vor allem gegen die Aussage des ehemaligen Kirchenoberhaupts, seit den 1960er Jahren habe sich ein "Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie ereignet, der die Kirche wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft machte". Dieser Vorwurf sei diffamierend.
"Gefangener seiner Vorurteile"
Der Versuch von Benedikt XVI., gesellschaftliche Umbrüche und die Reformen in der Moraltheologie für den Missbrauch verantwortlich zu machen, seien keineswegs neu, heißt es in dem Papier unter der Überschrift "Gefangener seiner Vorurteile". Joseph Ratzingers Analyse "beruht auf einer Reihe von falschen Annahmen und wird von uns im Ganzen als ein misslungener und untauglicher Beitrag zur Aufarbeitung der Missbrauchskrise bewertet".
Für Benedikt XVI. spielten human- oder sozialwissenschaftliche Erkenntnisse keine Rolle. Das führe zu verzerrten Wahrnehmungen.
Homosexualität als solche sei keine Ursache von Missbrauch. Dieser ziehe sich durch die ganze Kirchengeschichte. Die Unterstellung, in von sexueller Emanzipation unberührten katholischen Milieus habe es ihn nicht gegeben, führe in die Irre. "Die unhistorische Verklärung der Vergangenheit muss sich für die Opfer autoritärer oder patriarchaler Strukturen zynisch ausnehmen." Im Kirchenbild des ehemaligen Papstes hätten sündige Strukturen, die es zu allen Zeiten gegeben habe, keinen Platz.
Normen unliegen Wandel
Benedikts Darstellung der neuen Entwicklungen in der Moraltheologie zeuge von "wenig intellektueller Anstrengung". Wer etwa "den herkömmlichen Rigorismus der Verurteilung jeglicher Empfängnisverhütung kritisiert, der redet damit nicht einer Normlosigkeit das Wort". Normen verschwänden nicht einfach, sondern unterlägen einem Wandel. Auch die "neue" Ethik kenne unbedingte moralische Verpflichtungen. Der Streit gehe darum, welche Handlungen aus welchen Gründen darunter fielen.
Weniger den "traditionellen Werten" als den jüngeren Umbrüchen in der Regulierung von Sexualität sei es zu verdanken, "dass heute jede Form von sexualisierter Gewalt moralisch und rechtlich geächtet wird. Das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung ist keine Erfindung der Katholischen Kirche". Benedikts Analyse bedrohe den von ihm selbst stets betonten Zusammenhalt von Glaube und Vernunft.