Auch wenn die Debatte nicht so heftig geführt wird wie in Frankreich. Auch wenn es nicht zuerst um die Frage geht, ob die superreichen Spender, die den Wiederaufbau der Pariser Kathedrale Notre-Dame mit Millionensummen unterstützen wollen, in Wirklichkeit "reiche Mistkerle" sind, die sich ansonsten hemmungslos bereichern: Auch in Deutschland ging am Osterwochenende die Diskussion weiter, ob Spenden für das französische Wahrzeichen moralisch angebracht sind.
Solidarität aus europäischem Geist – so lautet das Argument der deutschen Spendenbefürworter. Lieber in Menschen investieren als in kaputte Steine - so die Forderung der Kritiker. "Ich habe mir sehnlich gewünscht, dass noch in der Brandnacht Deutschland Großherzigkeit offenbart hätte", schrieb der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm am Ostersamstag im Bonner "General-Anzeiger". Ohne Großherzigkeit kein neues Europa.
Bedenken in Politik und Kirche
Stattdessen habe die Bundesregierung nur pflichtgemäße Beileidsbekundungen abgegeben. Die Gegenposition bezog Linken-Politiker Gregor Gysi im "Tagesspiegel". Er kritisierte die französischen Unternehmerfamilien der Arnaults, Pinaults und Bettencourts, die innerhalb von Stunden 100 beziehungsweise 200 Millionen Euro zugesagt hatten. "Wieso spenden sie nicht, um den Hunger zu bekämpfen oder für die Seenotrettung im Mittelmeer?"
Bedenken formulierte auch der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick. Zwar sei der Wiederaufbau von Notre-Dame für ihn ein Herzensanliegen. "Dabei dürfen aber nicht die abgebrannten Wohn- und Krankenhäuser in Aleppo, Mossul, Palästina, Nigeria, Jemen und die Menschen dort vergessen werden."
"Wahrzeichens europäischer Kultur"
Schon unmittelbar nach dem Brand gab es auch aus Deutschland zahlreiche Hilfsangebote und Spendenaufrufe. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warb dafür, den Wiederaufbau des "Wahrzeichens europäischer Kultur" zu unterstützen. In Berlin bat der Senat um Spenden für die Partnerstadt Paris. Auch das Erzbistum Berlin rief zur Osterkollekte für Notre-Dame auf. Es gehe um eine Geste der Verbundenheit mit den dortigen Katholiken.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) erinnerte daran, dass der Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Dresdner Frauenkirche in den 90er Jahren durch einen großen Anteil internationaler Spenden ermöglicht worden sei. Die Stiftung Frauenkirche Dresden erklärte, man könne den "Schmerz über die brandbedingten Wunden am Wahrzeichen Frankreichs und der französischen Christenheit" nachempfinden - "weil wir ihn aus der Geschichte der Frauenkirche Dresden leidvoll erinnern".
Zurschaustellung des Reichtums
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und die Deutsche UNESCO-Kommission eröffneten Spendenkonten. "Notre-Dame berührt uns so, als wäre es eine Kirche in Deutschland", sagte Laschet. Die Kathedrale sei einer der bedeutendsten Orte der Christenheit weltweit. Zugleich bot NRW die Hilfe der vier Dombauhütten in Aachen, Köln, Soest und Xanten an, Bayern stellte Hilfe der Dombauhütten in Regensburg, Passau und Bamberg in Aussicht.
Angesichts der Debatte stellen sich zahlreiche Fragen: Können Reiche zu viel spenden und durch die öffentliche Zurschaustellung ihres Reichtums gar ein Symbol zerstören, das die Gesellschaft für sich beansprucht? Muss hinter einer Spende immer eine moralisch reine Absicht stecken? Und lässt sich immer fragen, ob eine Spende nicht viel sinnvoller für andere Zwecke ausgegeben werden könnte?
"Ein Fass ohne Boden"
Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor jedenfalls wies den Versuch zurück, Spenden für die Kathedrale gegen Spenden für Menschen in Not auszuspielen. Notre-Dame symbolisiere ein Stück Menschheitsgeschichte und vereine Menschen aller Religionen und Überzeugungen, sagte sie am Freitag dem Portal t-online.
Sie verwies zugleich auf ein psychologisches Problem: Bei Notre-Dame lasse sich der Schaden mit Geld einigermaßen wieder beheben. "Die humanitäre Hilfe dagegen ist tragischerweise ein Fass ohne Boden." Ununterbrochen seien hunderte Millionen Menschen durch Hunger, Krankheit und Kriege bedroht. Kaddor ist überzeugt: Das Leid der Menschheit lasse sich nicht allein mit Spendengeldern beseitigen. Nötig wäre eine grundsätzliche Korrektur der internationalen Politik.