Österreichs Koalitionsregierung hat sich mit ihrer strikten Linie gegen den traditionalistischen Islam erneut durchgesetzt. Mit den Stimmen der konservativen ÖVP und der rechten FPÖ beschloss das Wiener Parlament am Mittwochabend ein Kopftuchverbot an Grundschulen.
Das Gesetz untersagt bei Geldstrafe "das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung, mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist". Es gilt laut Regierung ausdrücklich vor allem für den islamischen Hidschab, weil er das gesamte Kopfhaar bedeckt, anders als etwa die jüdische Kippa.
Opposition stimmte fast geschlossen gegen Kopftuchverbot
Der Beschluss sei ein "Signal gegen den politischen Islam" und befreie muslimische Mädchen von einer "Unterwerfung" unter dessen strenge Geschlechtertrennung, hieß es aus ÖVP und FPÖ. Die Opposition stimmte fast geschlossen gegen den Entwurf der Regierung von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und monierte, es gehe ihr nicht um das Kindeswohl, sondern vor allem um Schlagzeilen.
Umgekehrt fragen sich Befürworter des Gesetzes, ob es der Opposition nicht nur um die reflexhafte Inschutznahme höchst bedenklicher Praktiken eines ultrakonservativen Islam geht, den es vor einer vermeintlichen "Fremdenfeindlichkeit" zu schützen gilt.
Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) kündigte am Donnerstag Klage vor dem Verfassungsgericht an. Sie betont das Recht auf Religionsfreiheit und spricht von einer Diskriminierung junger Musliminnen, gar von einem "schwarzen Tag für die Demokratie".
Streitfall zwischen rigidem und aufgeklärtem Islam
Allerdings kann sich die IGGÖ beim Kampf für ein Kinderkopftuch kaum auf die beiden maßgeblichen islamischen Quellen berufen. Denn weder der Koran noch die Prophetenüberlieferungen schreiben die Verhüllung kleiner Mädchen vor der Pubertät vor - welche sexuellen Reize sollten sie auch bedecken? - ganz abgesehen davon, dass viele muslimische Theologen den Schleier ohnehin nicht für eine religiöse Pflicht halten. Offenbar dreht sich der anstehende Streitfall also wieder einmal um die Machtprobe zwischen dem organisierten Islam mit seinem rigiden Koranverständnis und den kulturellen Regeln eines aufgeklärt-westlichen Staatswesens.
Objektiv geht es in der Debatte um die nur in jedem Einzelfall zu klärende Frage, ob sich acht- oder zehnjährige Schülerinnen freiwillig für das Kopftuch entscheiden oder von ihren Eltern dazu gedrängt werden, was im Zweifelsfall wahrscheinlicher sein dürfte.
Das aber fällt auch aus Sicht liberaler Muslime wie der Frauenrechtlerin Seyran Ates nicht unter das Erziehungsrecht der Eltern. Das "Stück Stoff auf dem Kopf" verlange den Mädchen ein bestimmtes Verhalten ab, sagt sie. Sie sollten "brav und zurückhaltend sein, nicht zu engen Kontakt mit Jungen haben, nicht stürmisch laufen und toben". Das sollten Kinder aber dürfen. "Wenn Eltern ihren Töchtern diese Freiheit nehmen wollen, dann muss der Staat etwas dagegen tun."
Verhaltene Diskussion um Hidschabverbot in Deutschland
Mit Sorge beobachten Kritiker wie die Organisation Terre des Femmes einen zunehmenden Trend unter konservativen muslimischen Migranten in Europa, ihren Töchtern schon im Kindesalter den Hidschab aufzusetzen und sie damit von der "ungläubigen" Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen. Zuweilen tauche er bereits in Kitas auf. Seit Jahren warnt Altfeministin Alice Schwarzer vor dem Kopftuch als "Flagge des politischen Islam", für den die Trennung der Geschlechter zentral sei. Nach dieser Metapher ließe sich wohl ergänzen: Je jünger die Trägerin, desto sichtbarer weht diese Flagge.
Doch es gibt auch ganz unpolitische Argumente gegen das Kopftuch für Grundschülerinnen. So erklärte die Vizepräsidentin des Bundesverbands der Kinder- und Jugendärzte, Sigrid Peter, die Betroffenen erhielten dadurch zu wenig Vitamin D, was ihr gesundes Wachstum gefährde.
In Deutschland verläuft die Diskussion um ein Hidschabverbot für Kinder eher verhalten. So unternahm die NRW-Landesregierung vor einem Jahr einen Vorstoß für ein Gesetz, ohne greifbares Ergebnis. In Berlin gab es Anfang Mai eine Verbotsinitiative vonseiten der AfD. CDU und FDP haben Zustimmung signalisiert. Die Regierungsparteien SPD, Linke und Grüne sprachen dagegen von "Islamfeindlichkeit".
Von Christoph Schmidt