Die Katholiken von Graubünden, Schwyz und Zürich erlebten am Montag einen ganz außergewöhnlichen Tag: Amedee Grab, der beliebte Altbischof von Chur, starb mit 89 Jahren - und der Rücktritt seines Nachfolgers Vitus Huonder (77) wurde von Papst Franziskus angenommen. Ein emotionaler Spagat in dem explosiven Schweizer Bistum.
Der Benediktiner Grab leitete die Diözese von 1998 bis 2007. In Chur trat er die schwierige Nachfolge des äußerst konservativen heutigen Erzbischofs von Vaduz/Liechtenstein, Wolfgang Haas (1988/90-1997), an, gegen den viele Churer Katholiken Sturm gelaufen waren.
Der heute 70-jährige Haas war - unter Umgehung der Rechte der Diözese - vom Vatikan direkt ernannt worden und stieß durch seine Haltung und Personalentscheidungen das an Mitbestimmung gewöhnte Churer Kirchenvolk vor den Kopf. Nach jahrelangen Konflikten versetzte Johannes Paul II. Haas 1997 ins extra dafür neu geschaffene Erzbistum Vaduz im Zwergstaat Liechtenstein.
Querelen um Bischof Huonder
Haas' Nachfolger Amedee Grab gelang es als Schlichter, die Wogen der Auseinandersetzung zwischen Bischof und Kirchenvolk in der Diözese weitgehend zu glätten. Doch unter seinem konservativen Amtsnachfolger Huonder brachen viele Konflikte wieder auf. Huonder polarisierte seine Herde, zu der neben stark ländlichen Kantonen auch die finanzstarken Katholiken der Metropole Zürich gehören.
Unzufriedene zogen 2014 sogar an den Sitz des damaligen Bischofskonferenz-Vorsitzenden, um für eine Absetzung Huonders zu demonstrieren.
Der Unmut entzündete sich nicht wie anderswo an teuren Bauten oder an Fällen sexuellen Missbrauchs, sondern an der Lehre. Huonder, seit 2007 im Amt, pochte auf den Buchstaben des Katholischen, und er scheute sich nie, ihn als verbindlich einzufordern. Querelen gab es viele: um Abtreibungsfinanzierung, den Umgang mit Homosexualität, Ehe und Familie oder um die Leitung des Priesterseminars.
Schweizer ticken basisdemokratisch, schon seit dem legendären Rütlischwur im Mittelalter. Das gilt auch für die Katholiken - die sich noch weniger unter konservative Bischöfe zu fügen bereit sind als die anderer westeuropäischer Demokratien. Das Schweizer Staatskirchenrecht ist von protestantischen Elementen geprägt und räumt den Laien mehr Mitbestimmung ein, als Bischöfen in der Regel lieb und es im allgemeinen Kirchenrecht vorgesehen ist.
Die Protestierer beklagten, die Schweizer Bischöfe ließen sich gefallen, dass Huonder die Themen diktiere, und: "Wir haben genug von disziplinierender Haltung, von hartherziger Theologie und pessimistischen Bischöfen, die den Gläubigen misstrauen." Huonders Anhänger hielten stets dagegen, der Bischof handele in Einklang mit Kirchenlehre und Kirchenrecht.
Früherer Bischof von Reykjavik wird Übergangsleiter
Mit Erreichen der Altersgrenze von 75 Jahren bot Huonder dem Papst pflichtgemäß seinen Amtsverzicht an; und Kritiker gingen davon aus, dass Franziskus die Gelegenheit ergreifen würde, den Kampf in Chur zu beenden. Doch der Papst ließ den umstrittenen Hirten überraschend noch für zwei Jahre im Amt.
Nun, mit 77, zieht Huonder laut einem von ihm selbst und dem Generaloberen der Piusbruderschaft, Davide Pagliarani, am Montag veröffentlichten Kommunique in ein Haus der traditionalistischen Gemeinschaft. Es befindet sich in Wangs im Kanton Sankt Gallen, wo die Bruderschaft eine Schule unterhält. "Absicht und Zweck dieses Schrittes bestehen allein darin, sich dem Gebet und dem Schweigen zu widmen, ausschließlich die traditionelle Messe zu feiern und für die Tradition zu wirken, worin er das einzige Mittel zur Erneuerung der Kirche erkennt."
Zum Übergangsleiter in Chur ernannte Franziskus den früheren Bischof von Reykjavik, Pierre Bürcher, als sogenannter Apostolischer Administrator. Der 73-jährige Schweizer Bürcher war von 1994 bis 2007 Weihbischof im Bistum Lausanne, Genf und Fribourg. Damals ernannte ihn Papst Benedikt XVI. zum Bischof der isländischen Hauptstadt Reykjavik.
Anfang 2016 trat Bürcher dort nach einem schweren Sturz aus gesundheitlichen Gründen zurück. Seitdem lebte er wieder in der Schweiz sowie im Heiligen Land. Bis zur Wahl eines regulären Nachfolgers wird Bürcher eine ähnliche Aufgabe zukommen wie dem nun verstorbenen Grab gut 20 Jahre zuvor: ein zerstrittenes Bistum so weit wie möglich zu befrieden.