Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein hat Juden davor gewarnt, überall in Deutschland die Kippa zu tragen. Er habe diesbezüglich seine frühere Meinung geändert, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Er begründete das mit einer "zunehmenden gesellschaftlichen Enthemmung und Verrohung", die einen Nährboden für Antisemitismus darstelle.
"Hierzu haben das Internet und die sozialen Medien stark beigetragen, aber auch die fortgesetzten Angriffe auf unsere Erinnerungskultur", so Klein. Etwa 90 Prozent der antisemitisch motivierten Straftaten seien dem rechtsradikalen Umfeld zuzurechnen, so Klein. Bei muslimischen Tätern seien es zumeist Menschen, die schon länger hier lebten. "Viele von ihnen gucken arabische Sender, in denen ein fatales Bild von Israel und Juden vermittelt wird."
Bund und Länder gegen Antisemitismus
Voraussichtlich in wenigen Wochen starte die Bund-Länder-Kommission zum Antisemitismus, kündigte Klein an. "Am 6. Juni, so der Plan, werden die Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin das Gremium beschließen. Wir wollen mit Hilfe der Kommission erreichen, dass der Umgang mit Antisemitismus und Rassismus Teil der Lehrerausbildung wird."
Er selbst werde an der Seite eines Länder-Vertreters den dauerhaften Vorsitz der Kommission übernehmen. "Außerdem arbeiten wir am Ausbau der bundesweiten Meldestelle für antisemitische Vorfälle, Rias. In Berlin gibt es die Meldestelle schon länger. Jetzt wollen wir Partner in den anderen Bundesländern finden", erklärt Klein.
Klein forderte zudem entschiedeneres Einschreiten der Polizei gegen Neonazi-Aufmärsche. Bei rechtsextremen Parolen wie a 1. Mai in Plauen hätte die Polizei den Marsch der Neonazis "sofort abbrechen müssen", sagte Klein.
Lehre und Polizisten besser ausbilden
"Es ist nicht der erste Fall, dass Männer den Hitlergruß vor den Augen der Polizei zeigen und nichts passiert", kritisierte er. In Plauen hatte am 1. Mai ein Fackel-Aufmarsch von Neonazis für bundesweites Aufsehen gesorgt
Schulungen für Polizisten und andere Beamten für den Umgang mit Antisemitismus seien notwendig. Es gebe viel Unsicherheit bei Polizisten und bei Behördenmitarbeitern im Umgang bei dem Thema. "Viele Beamte wissen nicht, was erlaubt ist und was nicht", sagte der Antisemitismus-Beauftragte.
Es gebe eine klare Definition von Antisemitismus, und die müsse in den Polizeischulen gelehrt werden, forderte der Regierungsbeauftragte. "Genauso gehört sie in die Ausbildung der Lehrer und Juristen." Manche Lehrer duldeten es offenbar, dass das Wort "Jude" als Schimpfwort verwendet werde. "Viele Lehrer können damit nicht umgehen", sagte Klein.
Deutlicher Anstieg judenfeindlicher Straftaten in Deutschland
Die Zahl der judenfeindlichen Straftaten hat 2018 im Vergleich zum Vorjahr um knapp zehn Prozent zugenommen. Gewalttaten von Antisemiten stiegen zudem von 37 Fällen im Jahr 2017 auf 62 im vergangenen Jahr. Bei den 62 Gewaltdelikten mit antisemitischem Hintergrund seien 43 Personen verletzt worden.
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sieht bei antisemitischen Vorfällen eine "neue Qualität" erreicht. Er neige nicht zum Dramatisieren, "doch die Lage hat sich insgesamt wirklich verschlechtert", sagte Schuster der "Welt am Sonntag".
"Das aggressive politische Klima wirkt sich aus." Juden in Deutschland fühlten sich zwar von den Sicherheitsbehörden ausreichend geschützt, "aber es wird Zeit, dass sich in der Gesellschaft der Wind wieder dreht".
Schuster: "Neue Qualität" von Antisemitismus
Schuster äußerte sich nach einem antisemitischen Vorfall in Hemmingen bei Hannover. In der Nacht zum 19. Mai war dort das Haus eines jüdischen Ehepaares angegriffen worden. "Hier wurde nicht eine jüdische Einrichtung angegriffen, die als solche deutlich zu erkennen ist, sondern hier haben die Täter den privaten Wohnort eines jüdischen Ehepaares ausfindig gemacht und sind mit dem Anschlag deutlich in deren Privatsphäre eingedrungen. Das ist eine neue Qualität", so Schuster.
Insgesamt sehe er keinen Bedarf für eine Verschärfung des Strafrechts, fügte der Zentralrats-Vorsitzende hinzu. Er würdigte zudem die Einrichtung der Antisemitismusbeauftragten im Bund und einigen Bundesländern. "Es ist bereits deutlich zu spüren, dass die Beauftragten die Lage mit Blick auf Antisemitismus viel schärfer beobachten und das öffentlich zum Thema machen."
Kardinal Woelki appelliert an Solidarität mit Juden
Auch der Kölner Erzbischof, Rainer Kardinal Woelki findet deutliche Worte gegen Fremdenfeindlichkeit. Im DOMRADIO.DE appellierte er eindringlich für Solidarität mit Juden: "Gerade in Deutschland dürfen nie wieder Menschen aufgrund ihrer Religion beleidigt, beschimpft, benachteiligt, ausgegrenzt oder gar verfolgt werden", so der Kölner Erzbischof. Religions- und Fremdenfeindlichkeit dürften keinen Platz haben! "Nie wieder und nicht mit mir!" Die Religionsfreiheit dürfe nicht nur im Grundgesetz stehen, sondern man müsse sie leben.
Kardinal Woelki äußerte sich nach einem Vorfall gegen Kölner Rabbi Yechiel Brukner. Dieser wollte auf einen Dienstwagen verzichten und lieber Bus fahren – um nah bei den Menschen zu sein. Doch dann sah er sich derartigen Schmähungen und Angriffen durch andere Fahrgäste ausgesetzt, dass er sich genötigt sah, wieder auf seinen Dienstwagen umzusteigen.