Reihe: Kurioses aus päpstlichen Gefilden

Hoch über dem Albaner See

Ulrich Nersinger bietet jeden Sonntag als versierter Vatikankenner einen nicht alltäglich Blick hinter die Kulissen des Heiligen Stuhls. Heute: Ein Blick hinter die Kulissen von Castel Gandolfo.

Autor/in:
Ulrich Nersinger
Vorplatz Castel Gandolfo / © Romano Siciliani (KNA)
Vorplatz Castel Gandolfo / © Romano Siciliani ( KNA )

Gut vier Jahrhunderte pflegten die Päpste sich für die Zeit des heißen römischen Sommers in die Albaner Berge zu begeben, nach Castel Gandolfo. Der klimatisch angenehme Ort liegt ungefähr 25 Kilometer südöstlich von Rom entfernt, mit einem herrlichen Ausblick auf den Lago di Albano.

Die Sommerresidenz der Päpste steht auf geschichtsträchtigem Boden. Castel Gandolfo ist das aus der römischen Sage bekannte Alba Longa, das von Ascanius, dem Sohn des Aeneas, gegründet worden sein soll. Die römischen Kaiser Claudius (41-54) und Domitian (81-96) ließen dort prächtige Villen errichten; Überreste der einstigen Bauten sind noch heute zu sehen. Die Villa des Domitian diente ihrem erlauchten Besitzer nicht nur als Ort der Muße; hier gewährte der Imperator Audienz, lud zu Sitzungen des römischen Senats ein und setzte unter bedeutsame Dekrete das kaiserliche Siegel. Aber schon mit dem Tod Domitians im Jahre 96 setzte der Verfall der prächtigen Villenanlage ein. Im hohen Mittelalter bauten die Gandulfi, eine genuesische Familie, auf dem Gebiet der ehemaligen kaiserlichen Villen eine Burg. Später ging sie in den Besitz römischer Adelsgeschlechter über. Im Jahre 1604 fiel sie an die Apostolische Kammer.

Urban VIII. war der erste Papst

Der erste Papst, der sich in Castel Gandolfo aufhielt, war Urban VIII. (1623-1644). Schon lange vor seiner Wahl hatte er sich häufig dorthin begeben, um Ruhe und Erholung zu finden. Im Gebiet von Castel Gandolfo besaß er als Kardinal ein Haus und einen Weinberg. Maffeo Barberini hatte sich als Poet einen Namen gemacht. In einem seiner lateinischen Sonette erhob er "den Geist von der Lieblichkeit der Villa zu Castel Gandolfo zur Betrachtung der ewigen Schönheit". Urban VIII. beauftragte berühmte Architekten – Carlo Maderno, Bartolomeo Braccioli und Domenico Castelli – mit der Umgestaltung der Burg in eine für eine Papstresidenz geeignete Anlage. Der Pontifex sorgte auch für die ersten befestigten Straßen nach Castel Gandolfo.

Alexander VII. (1655-1667) erweiterte und vollendete den Bau, den er häufig bewohnte und wohin er sogar die Mitglieder des Heiligen Kollegiums einlud. Unter diesem Papst wurden in der Villa große Festlichkeiten veranstaltet, und auf dem Albaner See fanden sogar Kampfspiele statt. Alexander sorgte dafür, dass es in der Umgebung des sonnigen Sommersitzes nicht an Schatten fehlte. Die große Allee, die von Castel Gandolfo am Kapuzinerkloster vorbei nach Albano führt, ist sein Werk und hieß daher in früheren Tagen "Strada Alessandrina". Klemens XIV. (1769-1774) erwarb in seinem Pontifikat die sich am päpstlichen Besitz anschließende Villa Cybo und sorgte so für eine beträchtliche Vergrößerung der Gesamtanlage.

Der genannte Papst galt als ruhig, bescheiden und fromm. Bei seinen Ausritten in die Umgebung Castel Gandolfos jedoch verließ den Papst sein sonst so "ruhiges Naturell" (Ludwig von Pastor). Domenico Paoli, der Agent der Republik Lucca am Päpstlichen Hof, schrieb seiner Regierung, die Art des Reitens erwecke bei der Umgebung des Papstes große Furcht; niemand, der den Heiligen Vater bei seinen Ausritten zu begleiten habe, könne mit ihm mithalten. Der Papst galoppiere seiner Eskorte oft davon. Wenn man mit der Landbevölkerung spreche, wisse
man nicht, was bei dieser überwiege, die Bewunderung für den Heiligen Vater oder die Sorge um sein Wohlergehen. "Der Reitstil Seiner Heiligkeit muss als äußerst verwegen und ungestüm betrachtet werden", merkte der Gesandte an.

Pius IX. liebte Ausflüge

Pius IX. (1846-1878) sollte nach dem Gagnanelli-Papst ein weiterer Pontifex Maximus sein, dessen Aufenthalte in Castel Gandolfo bei der Bevölkerung in besonderem Andenken blieben. Der Papst sah zwar in seiner Residenz "einen Ort, der eher geneigt sei, dort Betrachtungen über den Tod anzustellen, als in ihm den Sommerurlaub zu verbringen", dennoch suchte er ihn fast jedes Jahr auf. Er nutzte Castel Gandolfo zu ausgedehnten Ausflügen. Es soll im Umkreis von zehn Meilen keine Kirche, kein Kloster, keinen Adelssitz und kein Kolleg oder Wohltätigkeitsinstitut gegeben haben, das er nicht besucht hätte. Vor allem liebte er es, auf dem Pferderücken die Gegend zu erkunden. Die Bauern applaudierten dem Papst begeistert, wenn er bei seinen Ausritten dem Gefolge davongaloppierte.

Nach dem Ende des alten Kirchenstaates (1870) blieb der päpstliche Palast für viele Jahrzehnte geschlossen. Leo XIII. war seit Urban VIII. der erste Papst, der nicht nach Castel Gandolfo fahren konnte. Er zeigte jedoch sein Wohlwollen durch großzügige Spenden für die Pfarrkirche und die Bevölkerung. Pius X. (1903-1914) und Benedikt XV. (1914-1922) ließen in dem Ort Volkswohnhäuser bauen. Mit den Lateranverträgen von 1929 stand einem erneuten Aufenthalt der Päpste in ihrer Sommerresidenz, die nun exterritorialen Status besaß, nichts mehr im Wege. Pius XI. (1922-1939) ordnete umfangreiche Restaurierungs- und Baumaßnamen an. 1934 verlegte er die dem Jesuitenorden anvertraute Päpstliche Sternwarte aus der Vatikanstadt nach Castel Gandolfo.

Schutz für 15.000

Während des Zweiten Weltkrieges befahl Pius XII., in seiner Sommerresidenz den von Nationalsozialisten und Faschisten verfolgten Menschen Zuflucht zu gewähren. Im Oktober 1943 wurde eine Abteilung der Päpstlichen Palatingarde als Schutztruppe nach Castel Gandolfo verlegt. Später dann, angesichts der Kämpfe zwischen der deutschen Wehrmacht und den Alliierten, gab der Heilige Vater die Order, die Pforten der Residenz auch offiziell zu öffnen; mehr als 15.000 Menschen fanden hier Schutz. Seine Privatgemächer hatte der Papst werdenden Müttern zur Verfügung gestellt; 36 Kinder kamen in der Villa des Heiligen Vaters wohlbehalten zur Welt. Die Landung anglo-amerikanischer Verbände bei Anzio und Nettuno (22. Januar 1944) brachte auch Castel Gandolfo in beträchtliche Gefahr. Bomben der Alliierten wurden am 1. und 10. Februar über Albano abgeworfen – auch auf die päpstlichen Villen, obwohl an deren Gebäude die gelbweißen Flaggen des neutralen Vatikanstaates wehten. Viele Tote und Schwerverletzte waren zu beklagen.

Im 20. Jahrhundert nutzten die Päpste ihre Sommerfrische auch wieder verstärkt als reguläre Residenz; sie gaben dort regelmäßig Audienzen und erließen "ex Acre Gandulphi" päpstliche Entscheide. Diplomaten fremder Mächte überreichten in Castel Gandolfo dem Papst ihre Ernennungsschreiben zu Botschaftern beim Heiligen Stuhl, und offizielle Besuche von Monarchen und Staatsoberhäuptern fanden hier statt. Für die Päpste Pius XII. und Paul VI. wurde die Sommerresidenz in den Albaner Bergen zu ihrem Sterbeort; von hier aus traten sie den letzten Gang in ihre Bischofsstadt an.

Für Johannes Paul II. war Castel Gandolfo kein echter Urlaubsort; zu viele Audienzen hielten den Papst von der nötigen Erholung ab. Auch fanden in der Sommerresidenz philosophische Symposien, die so genannten "Gespräche von Castel Gandolfo", statt, an denen der Heilige Vater persönlich teilnahm. Auch für Benedikt XVI. wurde der Aufenthalt in den Albaner Bergen zum "Arbeits-Urlaub". Ein Großteil der Recherchen und Arbeiten an dem "Jesus"-Buch des Papstes fanden hoch über dem Lago di Albano statt. 2006 gab er in seiner Sommerresidenz drei deutschen Journalisten ein vielbeachtetes Fernsehinterview, das der Bayerische Rundfunk ausstrahlte – ein Novum in der Papstgeschichte.

Der Pontifex Maximus aus Bayern bemühte sich in seiner Sommerresidenz auch um Familiarität. So gab der Jahresbericht 2005 der Päpstlichen Schweizergarde über ein "Nachtessen mit Papst Benedikt XVI." Auskunft: "Am Dienstagabend, 30. August 2005, stieg der Heilige Vater, Papst Benedikt XVI., ins Gardequartier hinunter, um gemeinsam mit uns Gardisten zu essen. Er kam in Begleitung seiner zwei Sekretäre, Mons. Gänswein und Mons. Mietek sowie der vier Damen, die für Küche und Haushalt sorgen". Über das Essen selbst erfuhr man sehr wenig, nur das die Vorspeise aus "Melonenkugeln mit Rohschinkenstückchen" bestanden habe.

Benedikt XVI. der vorerst letzte Papst

Eine kleine "Enthüllung" bot der Jahresbericht dann doch: "Meinrad [ein Schweizergardist] öffnete zum krönenden Abschluss mit seinem Schwert den Spumante, mit dem gar der Heilige Vater anstieß, der sich sonst strikt jedes Alkoholkonsums enthalten hatte. Er hatte Wasser und Orangensaft getrunken. Mit erhobenem Glas hielt er also eine kurze Abschlussrede, in denen er allen dankte für den Abend und allgemein für den Dienst der Schweizergarde. Dieses gemeinsame Nachtessen sei Ausdruck der Nähe und Gemeinschaft, die wir während des Jahres in Rom und auf ganz besondere Weise in Castel Gandolfo leben würden". Gut zwei Stunden habe der Papst mit den Gardisten verbracht, verkündete der Bericht mit unüberhörbarem Stolz.

Papst Franziskus fand zu der Sommerresidenz in Castel Gandolfo keinen Bezug. Er ließ Palast und Gärten in ein Museum umwandeln. Für die Bewohner des Papststädtchens war dies kein Grund zur Freude, verschafften ihnen doch in früheren Zeiten die Aufenthalte der Päpste ein willkommenes Zubrot zu ihren wahrhaft nicht üppigen Einkünften, die sie sich ansonsten allein aus dem Weinanbau- und -verkauf verschaffen mussten.