Vor 75 Jahren begann der Warschauer Aufstand

Mythos und polarisierendes Ereignis

Es war - nach dem Aufstand im jüdischen Ghetto 1943 - bereits die zweite Erhebung gegen die deutschen Besatzer. Vor 75 Jahren begann der Warschauer Aufstand. Er endete in einer Orgie von Blut und Zerstörung.

Autor/in:
Von Christoph Arens
Außenminister Heiko Maas besichtigt mit seinem polnischen Amtskollegen, Jacek Czaputowicz / © Kay Nietfeld (dpa)
Außenminister Heiko Maas besichtigt mit seinem polnischen Amtskollegen, Jacek Czaputowicz / © Kay Nietfeld ( dpa )

Er war die größte einzelne bewaffnete Erhebung gegen die deutsche Wehrmacht im besetzten Europa während des Zweiten Weltkriegs. An diesem Donnerstag vor 75 Jahren begann der Warschauer Aufstand der polnischen Heimatarmee gegen die deutschen Besatzer.

Bei ihrer Sommeroffensive war die Rote Armee bis vor die Tore Warschaus gerückt. Höchste Zeit für die rund 40.000 Soldaten der Heimatarmee unter Führung von General Tadeusz Komorowski, die Hauptstadt aus eigener Kraft zu befreien und damit das Symbol eines starken und unabhängigen Polen zu schaffen.

Eines der größten Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkriegs

Ein heroischer Kampf gegen einen (noch) übermächtigen Gegner: Am 2. Oktober 1944 mussten die polnischen Verbände die Waffen strecken. Rund 180.000 Polen, meist Zivilisten, hatten ihr Leben verloren. 60.000 Menschen wurden von den deutschen Besatzern in Konzentrationslager deportiert und Zehntausende Warschauer zwangsevakuiert. Systematisch zerstörten die Deutschen anschließend einen Großteil der nahezu menschenleeren Hauptstadt. Warschau lag in Schutt und Asche.

Seit der Niederlage von 1939 hatten sich Polen im Exil auf die Zeit nach der Nazi-Herrschaft vorbereitet - mit allerdings zwei konkurrierenden Ausrichtungen: Nach dem deutschen Blitzsieg gelang rund 85.000 polnischen Soldaten sowie einer größeren Zahl von Politikern die Flucht. Sie sammelten sich zunächst in Frankreich, wo unter der Führung von General Wladyslaw Sikorski schon am 30. September 1939 eine Exilregierung gebildet wurde.

Breites Widerstandsnetz

Nach der Niederlage Frankreichs 1940 formierte sich der polnische Widerstand in London neu. Das Erste Polnische Korps kämpfte von da an unter britischem Befehl. Die Londoner Exilregierung steuerte auch die Operationen der in Polen agierenden Heimatarmee, die 1943 und 1944 etwa 350.000 Kämpfer unter Waffen hatte. Zum Widerstand gehörte auch ein Netz von Untergrundeinrichtungen wie Schulen, Universitäten und Zeitungen in Polen.

Währenddessen setzte Stalin ganz auf die polnischen Kommunisten. Zwei polnische Armeen wurden in der Sowjetunion aufgestellt. 1944 gründete sich das Lubliner Komitee, das von den Sowjets mit linientreuen Kommunisten als provisorische Regierung installiert wurde.

Keine Unterstützung für die Heimatarmee von Stalin

Während die aus London geführte Heimatarmee am 1. August 1944 den Aufstand begann, stoppte die Rote Armee an der Weichsel alle Operationen und schaute ungerührt zu, was sich am anderen Flussufer tat. Stalin hatte kein Interesse an einem Sieg der Heimatarmee, die eine vermutlich antikommunistische Regierung etabliert hätte. Er verwehrte sogar alliierten Flugzeugen, die humanitäre Hilfe und Waffennachschub bringen wollten, die Landung auf den stadtnahen sowjetischen Feldflugplätzen.

Hitler tobte. Nach erbitterten Häuserkämpfen brachten die polnischen Verbände zunächst große Teile Warschaus unter ihre Kontrolle. Doch nach und nach gewannen die Deutschen mit äußerster Brutalität die Oberhand. Vor allem SS- und Polizeieinheiten verübten zahllose Massaker. SS-Chef Heinrich Himmler gab den Befehl, sämtliche Einwohner Warschaus - egal ob Kind, Frau, Greis oder Kämpfer - zu töten und die Stadt dem Erdboden gleich zu machen.

War der Aufstand richtig?

Noch heute prägt der Aufstand das polnische Selbstverständnis wesentlich mit - als Mythos und als Ereignis, das extrem polarisiert, wie die Historikerin Anna Artwinska von der Universität Leipzig berichtet. Einerseits wird der Heroismus der Aufständischen gefeiert. "Gleichzeitig drängt sich die Frage auf, ob der Kampfentschluss der Aufständischen richtig war. Denn nach dem Aufstand lag Warschau in Schutt und Asche; Tausende Menschen sind ums Leben gekommen." Auch um Verrat gehe es in der Debatte, weil die sowjetischen Truppen und polnische Kommunisten Hilfe verweigerten.

Artwinska beklagt zugleich ein einseitiges Gedenken: Polen gedenke vor allem des Warschauer Aufstands von 1944. "Dabei gab es in Warschau bereits ein Jahr früher einen Aufstand - im Warschauer Ghetto." Am 19. April 1943 hatten sich die völlig unzureichend bewaffneten jüdischen Aufständischen als erste gegen die Besatzungsmacht erhoben. "Die polnische Bevölkerung hat dabei - und das muss gesagt werden - zugeschaut, wie das Ghetto brannte."


75. Jahrestag Warschauer Aufstand / © Kay Nietfeld (dpa)
75. Jahrestag Warschauer Aufstand / © Kay Nietfeld ( dpa )
Quelle:
KNA