In Schwante wurde vor 30 Jahren die ostdeutsche Sozialdemokratie neu gegründet

Ein Pfarrhaus in der DDR schreibt Geschichte

Der Massenprotest auf der Straße in der DDR wächst, da beschließen zwei evangelische Pfarrer: Eine Oppositionspartei muss her. Mit dem Aufruf zur Neugründung der ostdeutschen Sozialdemokratie gehen sie im Spätsommer 1989 an die Öffentlichkeit.

Autor/in:
Yvonne Jennerjahn
Kommunalwahl in der DDR 1989 / © Roland Holschneider (dpa)
Kommunalwahl in der DDR 1989 / © Roland Holschneider ( dpa )

Dieses Pfarrhaus war einen Tag lang ein ganz besonderer Ort: Als am 7. Oktober 1989 in der DDR in den Kirchenräumen von Schwante bei Berlin evangelische Pfarrer und andere Oppositionelle zu einem konspirativen Treffen zusammenkamen, wurde hier Geschichte geschrieben. Während die SED in Ost-Berlin mit Militärparaden den 40. Jahrestag der DDR-Gründung feierte, gründeten sie die erste politische Partei der Protestbewegung, die neue "Sozialdemokratische Partei" (SDP) - ein offener Affront gegen den Staat.

"So kann es nicht weitergehen", hatten die Initiatoren, die Pfarrer Markus Meckel und Martin Gutzeit, den Gründungsaufruf überschrieben: Der Wahrheits- und Machtanspruch der SED stehe der Demokratisierung des Landes im Weg. Die Massenbewegung der DDR-Flüchtlinge war längst im Gang, als der Aufruf am 26. August 1989 in der Ost-Berliner Golgatha-Gemeinde öffentlich vorgestellt wurde.

Anlass war eine Veranstaltung zur damals 200 Jahre zurückliegenden Französischen Revolution. "Unser Ziel", hieß es in dem Aufruf kurz und bündig: "Eine ökologisch orientierte soziale Demokratie."

Die SED herausgefordert

"Wir wollten eine parlamentarische Demokratie westlichen Musters", so hat Meckel, der später bis 2009 fast 20 Jahre lang für die SPD im Bundestag saß, die Pläne einmal zusammengefasst: "Und wir wollten uns in die längste demokratische Tradition in Deutschland stellen." Deshalb die Sozialdemokratie.

Andere Oppositionsgruppen entstanden zur gleichen Zeit, das "Neue Forum", "Demokratie Jetzt", der "Demokratische Aufbruch", der "Unabhängige Frauenverband". Doch die Theologen haben sich bewusst für eine Partei und gegen die lockere Organisation anderer Gruppen entschieden.

Die Parteigründung war eine klare Herausforderung der SED, die sich seit der Zwangsvereinigung der alten SPD mit der KPD in Ostdeutschland 1946 auch als Nachfolgerin der Sozialdemokratie präsentierte. "Wir haben gewissermaßen eine Hand aus dem Parteiabzeichen der SED gezogen", erklärte Meckel. Dem Ein-Parteien-Staat mit den Blockparteien CDU, LDPD, NDPD und Bauernpartei, die bei den Volkskammerwahlen gemeinsam mit der SED auf Einheitslisten als "Nationale Front" antraten, wurde der Kampf angesagt.

Eine christliche Partei kam laut Meckel aus theologischen Gründen nicht infrage: "Um den christlichen Glauben und die Kirche nicht zu missbrauchen und für politische Zwecke zu instrumentalisieren." Ein weiterer Pfarrer, Steffen Reiche, hatte sich unabhängig von Gutzeit und Meckel mit gleichem Ziel auf den Weg gemacht. Im Herbst 1989 fanden sie zueinander, andere schlossen sich an.

Mit am Tisch: die Stasi

Ein konspirativer Gründungsort wurde gesucht, der Pfarrer von Schwante stellte seine Räume zur Verfügung. Damit die Stasi nichts verhindern konnte, wurde am 2. Oktober vorab eine provisorische Gründungsurkunde unterzeichnet und sicher versteckt. In der Nacht zum 7. Oktober sollten sich die rund 40 SDP-Gründungsmitglieder nicht mehr zuhause aufhalten, um möglichen Verhaftungen zu entgehen. "Die Spannung war groß", hat es Meckel beschrieben: "Ich selbst bin ab dem 2. Oktober untergetaucht, selbst meine Frau wusste nicht, wo ich bin."

Dass die Stasi fast von Anfang an mit am Tisch saß, wusste damals noch niemand: Unter den ersten SDP-Interessierten war auch Ibrahim Böhme, der die Partei 1990 in den Wahlkampf führte und danach als Stasi-Spitzel enttarnt werden sollte.

Die sozialdemokratische Herausforderung wurde im Ministerium für Staatssicherheit schnell verstanden, zuständig war die Kirchenabteilung des MfS. Ein "Maßnahmeplan" wurde entworfen.

Stasi-Leute sollten zum Gründungstreffen geschickt werden, um "Gegenpositionen zu beziehen, Zweifel zu erzeugen, zu debattieren, Sachverhalte zu zerreden und Misstrauen aufkommen zu lassen". Der Plan misslang.

In Schwante musste dann alles ganz schnell gehen. Steffen Reiche fuhr schließlich nach Ost-Berlin, um West-Journalisten die Nachricht von der Parteigründung zu überbringen. Dann wurde alles zum Selbstläufer. Während die Massendemonstrationen der DDR-Opposition zunahmen, entstanden auch überall neue Ortsgruppen der Sozialdemokraten.

"Wir haben eher mit Gefängnis gerechnet als mit Ministersesseln", hat es Markus Meckel im Rückblick später beschrieben. 1990 ging er als erster frei gewählter und zugleich letzter Außenminister der DDR in die Geschichte ein. Warum ausgerechnet evangelische Pfarrer die SDP-Gründung organisiert haben, bleibt offen. "Diese Frage kann man nicht beantworten", hat Markus Meckel dazu einmal gesagt: "Das hätten auch andere tun können."


Quelle:
epd